Die Spionin auf dem Fahrrad

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jackolino Avatar

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Es geht hier um die Biografie einer der erfolgreichsten kommunistischen Spioninnen in der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit vor und während des 2. Weltkrieges und der ersten Nachkriegsjahre.
Ursula Kuczynski – Agent Sonja - entstammt durchaus großbürgerlichen Verhältnissen, auch wenn die jüdische Familie eher nach links als nach rechts tendiert. Sie ist schon als Jugendliche engagiert, wird während einer Demo zusammengeschlagen und trifft danach eine Entscheidung fürs Leben. Sie tritt der kommunistischen Partei bei und will helfen, deren Ideen durchzusetzen. Sie tut das von China, der Mandschurei, der Schweiz und England aus und absolviert zwischendurch eine Ausbildung zur Spionin in Moskau. Für mehr als 20 Jahre steht sie treu zu ihren Auftraggebern, hinterbringt Moskau wichtige Erkenntnisse, in den letzten Kriegsjahren vor allem über die Atombombe und hinterfragt auch nicht die Säuberungsaktionen in Russland in den 30er und 40er Jahren unter Stalin. Erst in den 50er Jahren lässt sie sich in der DDR nieder und beginnt eine zweite Karriere als Schriftstellerin.

Und dabei wirkt sie so durchschnittlich. Sie trifft sich zum Tratsch mit den Nachbarinnen, kocht und backt, fährt mit dem Fahrrad zum Einkaufen. Nicht einmal der engste Familienkreis weiß, dass sie ein zweites Leben führt und Oberst der sowjetischen Armee ist. Ganz im Gegensatz dazu wirken ihre verabredeten Erkennungsmerkmale für neu angeworbene Mitarbeiter wie eine Persiflage ihrer eigenen Arbeit. Aber vielleicht war es auch gerade ihre fehlende Eitelkeit, ihr Desinteresse, selbst irgendwo im Mittelpunkt zu stehen, die ihr geholfen haben, so lange unerkannt zu bleiben.

Das Buch ist ausgesprochen gut recherchiert und liest sich sehr gut. Eigentlich liest es sich mehr wie ein Spionage-Thriller und man wundert sich immer wieder, dass sich alles wirklich so zugetragen hat.

Gleichzeitig ist das Buch eine Familienbiografie der Kuczinskys, die im Geistesleben der ersten Hälfte des 20. Jh ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Sowohl die Eltern von Ursula als auch die Geschwister und die Kinder von Sonja werden durch die Zeit begleitet.

Ben Macintyre hat mit Agent Sonja ein weiteres Buch im Milieu der Spione geschrieben. Er konnte durchaus schon auf Recherchen zurückgreifen, die er für das Schreiben früherer Bücher benötigte. Mit Zigzag und Double Cross, mit Operation Mincemeat und A Spy among Friends hat er schon einige auf wahre Begebenheiten zurückreichende Thriller im Spionagebereich oder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht.
Und einige seiner Hauptpersonen aus vorangegangenen Büchern spielen auch bei Agent Sonja wieder eine Rolle.

Das Titelbild gibt wunderbar ihre vollkommen unauffällige Art wieder, von einer Spionin erwartet man nicht, dass sie mit dem Fahrrad kommt und Einkaufstaschen bei sich führt.