Frauen, die die Welt verändern

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martinabade Avatar

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Da hat man, mit gar nicht so schlechter Note, seinen Geschichtsleistungskurs absolviert, hatte die Nase in vielen Büchern und hält sich für mählich allgemein gebildet und interessiert. Dann bekommt man dieses Buch auf den Tisch und denkt sich: „Aha, von diesem Themenfeld hast Du in der Tat noch nie etwas gehört oder gelesen. Ein riesiger blinder Fleck in der bürgerlichen Bildung. Kann ja fast nicht sein.“ Ist aber so.

Auch der Autor. Ben Macintyre? Who? Um dann aus dem schlauen Netz zu lernen, das er der Autor von millionenfach verkauften Spionagebüchern ist. Er ist Kolumnist, als stellvertretender Redakteur bei der Times tätig und hat als Korrespondent der Zeitung in New York, Paris und Washington gearbeitet. Außerdem ist er regelmäßig in der BBC präsent.

Der Autor beschreibt in „Agent Sonja“ das Leben und „die Arbeit“ von Ursula Kuczynski. Und jetzt noch einen für das „Phrasenschwein“: Dieses ist ein historisches Sachbuch, auf das Präziseste recherchiert, das sich liest wie ein Krimi. Immer wieder während der Lektüre habe ich im Stoff und in der Erzählweise Macintyres Anklänge an John Le Carré gefunden.

Zur Handlung sollte an dieser Stelle nicht allzu viel verraten werden, s.o. Der ganze Text, das komplette Setting dreht sich um das Leben der Heldin Ursula Kuczynski. Sie wird 1907 in eine wohlhabende, im akademischen Milieu fest verankerte, deutsche jüdische Familie geboren. Sie wächst mit ihren Geschwistern, mehr Schwestern als Brüder, in nahezu idyllischen Verhältnissen in Berlin auf. Ursula ist immer der Wildfang, die Querdenkerin. Schon als Teenagerin sympathisiert sie mit der kommunistischen Gesellschaftsidee, so bald wie möglich tritt sie in die Partei ein. Ihre Eltern nehmen sie derweil von der Schule, die Mutter kauft ein Kostüm, Schuhe und Handschuhe passend und steckt sie als Gehilfin in eine Buchhandlung – warten auf den Ehemann ist die Direktive.

Und es findet sich auch einer. Einer, der die perfekte Tarnung ist für Ursulas Umtriebe. Denn in Shanghai lernt sie einen Mann kennen, der ihr Leben komplett verändert.

Ben Macintyre wendet sich in einem Aspekt sehr konzentriert seiner Protagonistin zu. Ursula wird Mutter, bleibt aber immer zerrissen zwischen ihren (vermeintlichen) Pflichten als Mutter und ihrer Spionagetätigkeit, der Arbeit und der damit verbundenen Gefahr, in die sie sich immer wieder, auch lustvoll, begibt.

Eine Konzentration liegt im Gegensatz dazu sehr im außen. Er beschreibt akribisch und sehr anschaulich die Milieus, in denen Ursula lebt und das gesellschaftliche Leben, das sie führt. Shanghai, New York, Oxford. Die Lesenden sind immer dabei.