Heimliche Helden

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owenmeany Avatar

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Die besten Geschichten schreibt das Leben, aber wie der bewährte englische Autor ein Sachbuch, die Biografie einer Spionin, so packend schreibt, wie es die Verfasser von Thrillern mit all ihren fantasiebedingten Möglichkeiten meist nicht hinkriegen, hat mich schlechthin begeistert.

Schlüssig verknüpft Macintyre das individuelle Schicksal einer außergewöhnlichen Frau mit der Weltgeschichte. Mir imponiert sein akribisches Quellenstudium, das dabei nicht zu professoraler Abgehobenheit führt, sondern ganz im Gegenteil dazu, psychologisch stimmige und glaubwürdige Dialoge zu formulieren, die sich nahtlos in die flüssige und spannende Erzählweise einfügen. Sehr geschätzt habe ich auch die ausgewählten Abbildungen, die dem Leser einen optischen Eindruck vermitteln und so die Personen lebendig machen.

Hätte es diese Frau nicht wirklich gegeben, LeCarré hätte sie nicht besser erfinden können. Aufgewachsen in einer politisch progressiven jüdischen Familie lässt sie sich bereits als aufmüpfiger Backfisch teils aus Abenteuerlust, teils aus weltanschaulicher Überzeugung auf Aktionen des Widerstands ein, macht Karriere in verschiedenen europäischen und asiatischen Ländern, wobei aus mehreren auch durch ihre Agententätigkeit bedingten Liebesbeziehungen drei Kinder geboren und aufgezogen wurden - und dabei bleibt sie jederzeit Frau und Mutter!

Die naturgemäß verwickelten und verwirrenden Sachverhalte des Geheimdienstes stellt Macintyre verständlich und nachvollziehbar dar, aber man kann leicht den Überblick verlieren bei der Fülle der Agierenden in unterschiedlichen Funktionen und Tarnexistenzen.

Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, als ich erfuhr, welche erstaunlichen Vorgänge im Untergrund den Verlauf des Zweiten Weltkriegs beeinflussten, darunter vor allem die unterschwellige Dynamik unter den Alliierten.

Macintyre beschreibt seine Protagonisten durchweg mit viel Einfühlungsvermögen und Sympathie. Ob man ihm deshalb vorwerfen kann, parteiisch zu sein (wobei ich bezweifle, ob absolute Objektivität überhaupt möglich ist), sei dahingestellt, besonders vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und den momentanen Kriegshandlungen. Immerhin war Sonja maßgeblich daran beteiligt, die Russen mit Atombomben-Knowhow zu versorgen. Man kann darüber diskutieren, ob sie damit deren nukleare Aufrüstung nur beschleunigt hat und ob das Gleichgewicht der Kräfte bis heute einen Erstschlag verhinderte.

Insgesamt kann ich dieses Buch voller Überzeugung jedem historisch interessierten Leser empfehlen.