Wie gerecht ist meine Zeit?

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Rezension zu "Alle_Zeit" von Teresa Bücker

Das Cover und der Klappentext von "Alle_Zeit" haben mich total angezogen. Ich liebe es, wenn intelligente Menschen sich über 400 Seiten mit einem Begriff beschäftigen, er uns alle nicht nur dauernd begleitet, sondern auch unser Leben zu einem großen Teil bestimmt, ohne dass wir darüber nachdenken.

Tatsächlich geht es in diesem wissenschaftlich fundierten (rund 60 Seiten bestehen rein nur aus Quellenangaben) Sachbuch um Zeitgerechtigkeit in einem feministischen beziehungsweise gendersensiblen Kontext. Es geht viel um Care-Arbeit und um die Unterdrückung desjenigen Elternteils, der mit den Kindern die meiste Zeit verbringt. Es geht um all die zig Billionen Handgriffe die täglich (nach wie vor leider vor allem von Frauen) ohne Gegenleistung getätigt werden, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten, unsere Kinder großzuziehen und die Alten zu pflegen. Hier muss sich etwas ändern!

Besonders einprägsam war für mich das Zitat: "Frauen könnten die westliche Gesellschaft allein dadurch in die Knie zwingen, indem sie einfach nichts tun."
Wohlbemerkt: Das könnten Männer natürlich auch! Aber die bekommen ihr Tun wenigstens bezahlt! Ausnahmen bestätigen hie wie immer die Regel.

Es handelt sich also um ein feministisches Buch. Um eine Kampfrede. Vor allem für bezahlte Care-Arbeit und für eine gerechtere Verteilung von zeitlichen Ressourcen.
Aber das habe ich mir von diesem Buch nicht erwartet. Ich hätte gehofft, dass es allgemeiner um Zeit geht.
Außerdem war es teils sehr langatmig, schwer wissenschaftlich (was super ist, wenn ich darauf eingestellt gewesen wäre) und dadurch kein Lesevergnügen, sondern eher was für Legal Gender Studies auf der Universität.

Eines der wenigen Sachbücher, das ich sofort wieder aus meinem Bücherregel aussortiert habe, nachdem ich mich durchgequält habe, nur um diese Rezension fundiert verfassen zu können.

Mir fehlen nämlich auch konkrete Lösungsmodelle im Detail. Es geht sich für mich in der wissenschaftlichen Populärliteratur (und darunter fällt dieses Sachbuch meines Erachtens) nicht aus, dass ich 90 Prozent der Seitenanzahl für einen Problemaufriss verwende und darstelle wie schrecklich alles ist, um die Leser:innen dann mit kurzen Lösungsansätzen zum Schluss abzuspeisen. Das ist für mich eher destruktiv. Kann aber dem:der nächsten Autor:in sicher als fundierte kluge wissenschaftliche Grundlage dienen, um ein anderes Buch mit Vorschlägen, Lösungsmodellen und Zukunftsvisionen zu schreiben. Das würde ich dann wieder gern lesen, denn unsere Zeit braucht mehr Lösungen und weniger Jammerei.