Licht und Schatten einer Kleinstadt

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Mauro Nesta kehrt aus Italien zurück in die kleine schweizer Stadt in der er geboren und aufgewachsen ist, um sich um seine Demenzkranke Mutter zu kümmern. Seine Ankunft im Städtchen fällt auf die für das Städtchen und seine Bewohner wichtigsten Tage des Jahres: Das Jugendfest. Die Konfrontation mit der Umgebung seiner Kindertage und insbesondere mit dem von zahlreichen Traditionen geprägte Jugendfest stellt für Mauro eine grosse Herausforderung dar. Plötzlich muss er sich mit Erinnerungen auseinandersetzen, die er lang überwunden glaubte. Als Sohn eines Italieners und einer Schweizerin ist er als kompletter Aussenseiter aufgewachsen und musste als Kind einige Demütigungen einstecken. Gleichzeitig sieht sich Mauro mit Erinnerungen seiner Mutter konfrontiert, die er aber vorerst nicht einordnen kann, da sie nicht mehr in der Lage ist, sie zu erklären.

Während Helen Nesta in einer Gedankenwelt versinkt, in der Vergangenheit und Gegenwart durcheinanderwirbeln löst das Jugendfest nicht nur bei Mauro einiges an Emotionen aus. Auch Jakob und Pius, Freunde aus Jugendtagen, werden von Erinnerungen geplagt. Im Verlauf der Geschichte deckt der Erzähler langsam die Verstrickung von Helen, Jakob und Pius auf. Vieles erfahren wir mit Mauro, oft sind wir ihm aber ein paar Schritte voraus und am Ende kann man sich einer gewissen Beklemmung nicht erwehren, wenn man dabei ist, wie die Hauptpersonen mit einigen bitteren Erkenntnissen konfrontiert werden. Das Ende ist dann durchaus versöhnlich-optimistisch, wenn auch mit etwas melancholischem Einschlag.

Urs Augsburger hat sich dem Thema Demenz sehr einfühlsam angenähert, indem er die Krankheit nicht als isoliertes Phänomen angeht, sondern in einen Rahmen setzt, in dem sich auch die andern Figuren der Geschichte mit Erinnerungen, mit der Vergangenheit und mit der Einsamkeit auseinandersetzen. Daneben werden in dem Buch auch viele Themen aufgegriffen, die mir immer mehr als typisch schweizerisch erscheinen: Der Widerstreit von Enge, Geborgenheit, Tradition, Offenheit und Freiheit, die Heuchelei der Alteingesessenen, engstirnigen Elite, der man gleichzeitig trotz allem immer mal wieder die Anerkennung für eine gewisse Stabilität und Sicherheit schuldet, die aber auch wiederum dafür verantwortlich ist, dass sich die klugen und kreativen Köpfe, immer wieder in mehr oder minder dramatischen Aktionen aus den als Gefängnis empfundenen Netzwerken befreien müssen. Daneben kratzt der Autor auch an einigen gesellschaftspolitisch problematischen Themen: Die Nähe gewisser Zünfte und Verbände zum Nationalsozialismus in den 40er und 50er Jahren, die extrem konservativen Moralvorstellungen der 50er und 60er Jahre und immer wieder der Umgang mit den Ausländern, sei es nun die miserable Situation der italienischen Hilfsarbeiter in den 70er und 80er Jahren, die unterschwellige Benachteiligung der Menschen aus dem Balkan oder das Misstrauen gegenüber der deutschen "Einwanderungswelle". All dies spricht Augsburger auf unaufdringliche Weise an, indem er den Erzähler von einigen exemplarische Einzelschicksalen berichten lässt, ohne auf platte Pauschalaussagen weiter einzugehen.

Das Buch ist in seiner einfachen und doch tiefgründigen Art wunderbar und wird wohl keine Leserin und keinen Leser unberührt zurücklassen.