Authentisch und witzig

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bluevanmeer Avatar

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Sophie hat ihren Job verloren, kein Geld mehr, hockt in ihrer Wohnung und fängt an zu schreiben, zum Beispiel darüber, wie sie anfängt, ihre geliebten Bücher in einem Second-Hand-Buchladen zu verkaufen. Als der Teufel aus dem Badezimmer kam ist ein witziges Buch über eine unerschrockene Poetin, die ihre ganze Kreativität in die Waagschale wirft, um nicht (finanziell) unterzugehen.

Am Anfang steht eine Zahl: 17,70 bleiben Sophie noch bis zum Ende des Monats. Sie hat sich verkalkuliert. Als Schriftstellerin ist sie ohnehin knapp bei Kasse und der Wärmestrahler, den sie über den Winter aufgestellt hat, beschert ihr im Frühjahr eine hohe Stromrechnung, die fast ihre gesamte Sozialhilfe auffrisst. Permanent sitzt ihr der Teufel im Nacken, der sie in ihrer Wohnung besucht und sie verführen will, ihre wertvollen verbleibenden Euros auszugeben. Das klingt in erster Linie nach einer ziemlich dramatischen Situation, aber Sophie gibt nicht auf und schreibt stattdessen einen Roman, in dem sich die Realität endlich einmal (!) der Fantasie unterordnen muss. Ihre finanzielle Zwangslage ist zwar der Ausgangspunkt des Romans, aber durch ein Feuerwerk absurder Ideen, wirkt die Geschichte in erster Linie weder tragisch, noch traurig, sondern ist unglaublich witzig und mit einem guten Gespür für subtile Gesellschaftskritik geschrieben.

Schon 1839 hatten es Künstler*innen nicht leicht, wie Carl Spitzweg auf seinem Bild "Der arme Poet" ziemlich einleuchtend darstellt. Es regnet durch die Decke, die wenigen verbliebenen Bücher sind um das Bett versammelt und der arme Poet trägt eine Mütze, wahrscheinlich weil es ihm sonst in seinem Zimmer zu kalt ist. Sophie geht es ähnlich, allerdings schlägt sie sich mit den Phänomenen der Gegenwart herum. Sie lehnt es ab, ihre Mutter oder ihre Brüder in ihre finanzielle Notlage einzuweihen. Vor ihrer Familie, kann sie schon gar nicht zugeben, dass sie mit Ende 30 immer noch keinen Job hat und ihre Karriere als Schriftstellerin nicht in die Gänge kommt. In dieser Situation hilft es wenig, dass sich immer wieder die Kommentare ihrer Mutter in ihren Gedanken auftauchen.


"Ach, Kind!", kraquäkte meine Mutter, "ich hatte ja keine Ahnung, dass du so arm bist. Um das zu erfahren, muss ich also deine Bücher lesen ... Hätte ich das gewusst, hätte ich niemals zugelassen, dass du diese verflixte Literatur zu deinem Beruf machst." (S.17)

Sophie Divrys Roman ist nicht nur so genial gut, weil es um eine Frau geht, die ihr Leben radikal dem Erfolg ihrer Kunst unterordnet. Divry thematisiert Phänomene der Gegenwart, die aktuell sind und jede_n treffen können: die absurden Forderungen der Arbeitsagentur, in der Sophie bald nur noch verwaltet wird; der Versuch, jeglichen Besitz (selbst Lieblingsbücher) noch irgendwie zu Geld zu machen und gleichzeitig das Gefühl, zu den Ausgeschlossenen und gesellschaftlich Abgestiegenen zu gehören. Ein Gefühl, das Sophie noch mehr quält, als der ständige Hunger.


Sobald einem die geringste Idee kommt, kann man sie sich schon nicht mehr leisten. Es fällt uns normalerweise nicht auf, aber letztendlich ist jede Handlung mit einer Ausgabe verbunden. Wer spazieren geht, steigert seinen Appetit. Wer sich mit Freunden trifft, muss unter Umständen einen ausgeben. Dabei braucht man gerade, wenn man knapp bei Kasse ist, Ablenkung und Unterhaltung. Es ist eine Trotzreaktion, ein rebellischer Instinkt, der einem zuflüstert: Wenn schon keine Arbeit, dann wenigstens Spaß... (S.27)

Abgesehen davon, dass ich selten einen so ehrlichen und authentischen Roman gelesen habe, wartet Divry mit einer Menge komischen und witzigen Ideen auf, die sich als künstlerische Rettungsanker erweisen. Da wehrt sich der Toaster mit Händen und Füßen dagegen, bei Ebay versteigert zu werden ("Wie kannst du so grausam mich opfern? Warum mich morden, was hab ich getan? Mit welchem Recht, wer hat's dir befohlen?" (S.83)), ihr ebenfalls arbeitsloser Musikerfreund Hector hat eine Affäre, die Sophie bis ins Detail ausschmückt, denn Sex sells und irgendjemand muss ihr Buch ja kaufen, es werden die drei Schritte einer "effektiven Andiedeckestarrung" vorgestellt, die jede_r Arbeitslose kennt und irgendwann kippt das Schriftbild in Richtung konkrete Poesie. Obwohl Thea Dorn ein ganz anderes Thema verhandelt, fühlte ich mich allein durch den spielerischen und kreativen Umgang mit Sprache an ihren Roman Die Unsterblichen erinnert. Zudem besteht der Roman aus drei Teilen, denen jeweils unterschiedliche Motti vorangestellt sind, die an Texte aus dem Barock erinnern und zusammenfassen, was die Heldin als nächstes erleben wird. Das macht unglaublich viel Spaß und ist gleichzeitig sehr authentisch und treffend beschrieben. Zum Ende hin, können die vielen sprachlichen Experimente allerdings auch ein wenig ermüden. Zum Glück triumphiert die Kunst über die Arbeitslosigkeit, das ist wahrscheinlich das Schönste an diesem Roman.