Denkimpulse und Aufbruch-Stimmung

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Dieses Buch hat es in sich. Es steckt randvoll mit Fakten, Namen und Ereignissen. Es wirkt geradezu kreativitätsanregend. „An den Ufern der Seine“ zeigt PARIS als Quelle der Inspiration.

Deshalb sollte jeder, der ein Auge auf das ansprechende Cover des Sach-Buches „An den Ufern der Seine“ von Agnés Poirier wirft, sich zu allererst fragen, ob man überhaupt der richtige Leser dafür ist. Schließlich liegen rund 450 Seiten Text vor einem. Und es geht in vier Teilen mit 16 Unterkapiteln um das Leben, Lieben und Leiden der Intellektuellen in Paris über einen Zeitraum von 10 Jahren. Beginnend in der Zeit der Besetzung Frankreichs durch die Nazis (1939) und dem Widerstand der Résistance, weiter über die Befreiung der Alliierten und den politischen wie gesellschaftlichen Neubeginn in den Nachkriegsjahren, hin zu einer gewissen Normalität (1949).

Auf keinen Fall sollte man das Buch mit einem Reiseführer verwechseln, obwohl es sofort Lust darauf macht, Paris mit eigenen Augen an den Originalschauplätzen zu entdecken. Zur Orientierung beim Lesen hilft immerhin der Ausschnitt aus dem Paris-Stadtplan konzentriert auf das linke Ufer, „Rive Gauche“.

Sobald die Affinität zur damaligen Zeit, zur Stadt und zu den „handelnden Personen“, wie den „Lichtgestalten“ Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus geklärt ist, darf man sich getrost auf ein abenteuerliches wie abwechslungsreiches Kaleidoskop einlassen. Man kann das Buch auch beruhigt lesen, wenn man noch gar nichts weiß über die damaligen Künstler, über die Schriftsteller und Verleger, die Dichter und Denker dieser Zeit. Man kann sich aber auch als jemand mit viel literarischer Erfahrung noch auf Unbekanntes einlassen, weil es vieles neu zu entdecken gibt.

Der Stoff reicht vom künstlerischen Schaffen in Literatur, Malerei, Architektur, Jazzmusik und Schauspielerei über die Entwicklung des Existenzialismus und der Jazzmusik als Massenbewegung bis hin zum Kommunismus und weiteren politischen Bezugspunkten der Zeit.
Von Seite zu Seite werden Lesende das Wissen begieriger in sich aufsaugen. Das liegt vor allem an der mitreißenden wie magischen Erzählweise von Agnés Poirier.
Sie erzählt auf besondere Art von den Ereignissen, bindet die handelnden Personen authentisch ins Geschehen ein, schafft somit eine angenehme Atmosphäre, die es leichter macht, dem Geschehen mit wachem Interesse an Kunst und Kultur zu folgen.

Als Leser fühlt man sich dabei jederzeit ganz dicht dran an den Vorhaben und Entscheidungen der Personen und erfährt persönlichste Ansichten und Erfahrungen aus den Zitaten im Text. Künstlerinnen und Künstler, ihre Ideen und Liebschaften, ihre Zweifel und Charaktereigenschaften lernt man kennen. So folgt der Leser den wichtigsten Personen der Zeit durch Paris und erhält Anregungen, die er weiterverfolgen kann, beispielsweise, indem man endlich einmal die Frühwerke von Samuel Beckett liest.

„Am Ufer der Seine“ ist ein großartiges Buch, weil es so vieles konzentriert zur Sprache bringt: Von Kapitel zu Kapitel ist man mehr und mehr begeistert von der Vielseitigkeit, den Zusammenhängen, die einem klarwerden, den sich öffnenden Türen, durch die man blickt: auf das Haben, Werden und Sein junger und alternder Schriftsteller, Philosophen und Journalisten.

Nur gut, dass es im Anhang einen Überblick mit vielen Anmerkungen und einem Namensregister von A bis Z zu den erwähnten Personen gibt. Um das Ganze noch stärker zu verinnerlichen, darf man am Ende dieser fantastischen Exkursion ins erwachende Paris meinem Rat folgen: sofort noch einmal lesen! Dieses Buch ist es wert.