Geschichte eines interessanten Lebens mit etwas viel Drumherum
Henning Sussebach beschreibt in diesem Buch ein äußerst interessantes Projekt und berührt Fragen, die wohl jeden, der die eigenen Vorfahren recherchiert, beschäftigen. Oft hat man nur Namen, Daten, vielleicht ein paar Anekdoten und Erinnerungsstücke, und anhand dessen versucht man, sich Leben und Persönlichkeit eines Menschen vorzustellen, der schon lange tot ist. Der Autor beschreibt die Schwierigkeiten, die damit einhergehen, ehrlich und gut, manchmal etwas zu pathetisch und ausführlich. Er verfügt über wenige Informationen und es ist einerseits beeindruckend, was er durch weitere Recherche oder genaue Betrachtung herausfindet. Andererseits neigt er zur Überinterpretation, oder, wie er selbst schreibt, zum Überdeuten. Bei seiner anfänglichen Beschreibung von Annas Leben als Lehrerin schüttelte ich oft mit den Kopf und fragte mich, wie er zu dieser Interpretation kommt – später erklärt er mehrfach, Anna seine Interpretation oft zu stark übergestülpt zu haben.
Auch stellt er sich zahlreiche Fragen, sinniert häufig und leider auch wiederholend, was die Lektüre zumindest für mich anstrengend und oft ziellos machte.
Es handelt sich um einen Bericht, sowohl über Annas Leben wie auch über die Annäherung ihres Urgroßenkels an ebendieses Leben, den Versuch, aus Fakten die Person Anna zu rekonstruieren. Sussebach bedient sich hier einer Mischung verschiedener Informationsquellen, was mir ausgezeichnet gefallen hat. Es finden sich alte Fotos, vereinzelte Anekdoten, zitierte Korrespondenz, Hintergrundfakten über Annas Wohnorte, historische Informationen, Einblicke in die damalige Gesetzeslage, in Arbeitsbedingungen. So verwebt der Autor das persönliche Schicksal Annas mit der Welt ihrer Zeit und macht diese persönliche Reise auch zu einem Buch über die Entwicklungen des heutigen Deutschlands zwischen 1870 und 1932.
Das ist von der Idee her ausgezeichnet, von der Umsetzung sagte es mir nur teilweise zu. Das liegt überwiegend daran, daß die Geschichtsausführungen zu viel Platz einnehmen (und das sage ich als geschichtlich äußerst interessierte Person). Insgesamt 22 Seiten (also mehr als 10 % des Buches) bestehen aus einer Aufzählung von Jahreszahlen und Geschehnissen. An sich eine gute Idee, aber oft nehmen diese Aufzählungen eine ganze Seite (auch mal zwei Seiten) am Stück ein – derart lange Aufzählungsabschnitte sind nicht lesefreundlich. Hinzu kommen weitere, für den Rahmen zu ausführliche Abhandlungen. Die meisten diese Fakten sind geschichtlich einigermaßen informierten Menschen zudem bereits bekannt. Ich las mich in diesen Geschichtsausführungen seitenweise durch Dinge, die ich schon längst wußte. Interessant fand ich in dieser Hinsicht nur die Informationen aus der Dorfchronik. Es wäre m.E. wesentlich sinnvoller gewesen, sich auf die Hintergrundinformationen zu beschränken, die für Annas Leben relevant waren. Wann z.B. Tutanchamuns Grab entdeckt wurde oder wann van Gogh umzog ist im Zusammenhang des Buches weder interessant noch relevant.
Auch sonst neigt der Autor dazu, von allem etwas zu viel zu schreiben. So gibt es Auszüge aus Schulbüchern jener Zeit, in der Anna als Lehrerin arbeitete. Auch hier: tolle Idee, durchaus relevant, aber müssen es fast fünf Seiten davon sein?
Annas Urlaub in Salzuflen wird auf acht Seiten beschrieben, von denen sechs Seiten aus Zitaten aus Werbeprospekten, Veranstaltungshinweisen, Beschreibungen von Kuranwendungen u.ä. bestehen. Ich kann verstehen, daß der Autor versucht, die Umgebung, die Situationen, in denen er seine Urgroßmutter wußte, gedanklich heraufbeschwören, sich ein Bild schaffen möchte. Nur waren es für meinen Geschmack wesentlich zu viele allgemeine Informationen, versehen mit vagen Fragen und Überlegungen, was davon Anna wohl gesehen oder erlebt hat.
Das Buch ist da am besten, wo es sich Anna ohne großes Drumherum widmet, die Informationen betrachtet, die relevanten Hintergründe schildert. Annas Leben ist interessant und facettenreich. Es wäre nicht nötig gewesen, die vorliegenden Fakten durch endlose Fragen, erdachte Situationen und viel zu umfangreiche Hintergrundinformationen aufzupolstern. Seltsamerweise wird der Autor, der sonst gerne drei Sätze schreibt, wo einer ausgereicht hätte, an einer wichtigen Stelle wortkarg – Anna und Clemens Vogelheim möchten heiraten, der soziale Unterschied ist für Clemens‘ Familie nicht akzeptabel und so: „Also legen die Vogelheims ihr Veto ein.“ Hier hätte mich brennend interessiert, in welcher Form das geschah und woher der Autor diese Information hat. Aber er, der sonst vorbildlich erklärt, wie er zu seinen Informationen kommt, belässt es bei diesem Satz, der viele Fragen offenlässt.
Dafür sinniert er an späterer Stelle eine ganze Seite lang darüber, wie lang zwölf Jahre sind, mit einer Fülle an Beispielen, was in der Weltgeschichte alles schon zwölf Jahre lang gedauert hat. Das ist anfänglich eine gute Idee, aber wo zwei Beispiele gereicht hätten, stehen hier unzählige und schwächen dadurch den Vergleich. Das ist symptomatisch für das Buch.
Anstatt sich auf die vielversprechende und spannende Geschichte zu beschränken, gießt der Autor wesentlich zu viel Drumherum dazu. Annas Leben und Leistung steht für sich, es wäre nicht nötig gewesen, einen krampfhaften Bezug zur Frauenbewegung herzustellen. Es wäre nicht nötig gewesen, unzählige Ereignisse aufzuzählen, die mit Annas Leben nichts zu tun haben.
Sein Hinweis, daß man die Lebenswege früherer Zeiten nicht mit den Maßstäben der Gegenwart betrachten darf, ist wichtig. Es hätte aber gereicht, dies einmal dazulegen, nicht mehrere Male und nicht verbrämt mit allerlei philosophischen Gedanken.
Weniger Überinterpretation hätte den Lesern ermöglicht, sich ein eigenes Bild zu machen. Weniger Fragen und Wunschvorstellungen hätten das Wesentliche klarer für sich stehen lassen. Es ist ein äußerst persönliches Buch – das ist einerseits ehrlich und erfreulich, aber für mich, die ich etwas über Anna erfahren wollte, lenkte dies den Fokus von ihr weg und zu Sussebach hin.
Die Umsetzung hat mir also nur eingeschränkt zugesagt. Die Idee fand ich allerdings hervorragend und vieles, was der Autor berichtet, ist äußerst interessant, auch finde ich seine Recherche beeindruckend (zum Vorgehen hätten mich einige Seiten, vielleicht als Anhang, interessiert). Es hat Spaß gemacht, Anna kennenzulernen, sie hat mich beeindruckt, ihre Lebensumstände sind durch die Hintergrundinformationen gut in ihre Zeit eingebettet. Das Vorhaben, Anna dem Vergessen zu entreißen, ist m.E. absolut geglückt.
Auch stellt er sich zahlreiche Fragen, sinniert häufig und leider auch wiederholend, was die Lektüre zumindest für mich anstrengend und oft ziellos machte.
Es handelt sich um einen Bericht, sowohl über Annas Leben wie auch über die Annäherung ihres Urgroßenkels an ebendieses Leben, den Versuch, aus Fakten die Person Anna zu rekonstruieren. Sussebach bedient sich hier einer Mischung verschiedener Informationsquellen, was mir ausgezeichnet gefallen hat. Es finden sich alte Fotos, vereinzelte Anekdoten, zitierte Korrespondenz, Hintergrundfakten über Annas Wohnorte, historische Informationen, Einblicke in die damalige Gesetzeslage, in Arbeitsbedingungen. So verwebt der Autor das persönliche Schicksal Annas mit der Welt ihrer Zeit und macht diese persönliche Reise auch zu einem Buch über die Entwicklungen des heutigen Deutschlands zwischen 1870 und 1932.
Das ist von der Idee her ausgezeichnet, von der Umsetzung sagte es mir nur teilweise zu. Das liegt überwiegend daran, daß die Geschichtsausführungen zu viel Platz einnehmen (und das sage ich als geschichtlich äußerst interessierte Person). Insgesamt 22 Seiten (also mehr als 10 % des Buches) bestehen aus einer Aufzählung von Jahreszahlen und Geschehnissen. An sich eine gute Idee, aber oft nehmen diese Aufzählungen eine ganze Seite (auch mal zwei Seiten) am Stück ein – derart lange Aufzählungsabschnitte sind nicht lesefreundlich. Hinzu kommen weitere, für den Rahmen zu ausführliche Abhandlungen. Die meisten diese Fakten sind geschichtlich einigermaßen informierten Menschen zudem bereits bekannt. Ich las mich in diesen Geschichtsausführungen seitenweise durch Dinge, die ich schon längst wußte. Interessant fand ich in dieser Hinsicht nur die Informationen aus der Dorfchronik. Es wäre m.E. wesentlich sinnvoller gewesen, sich auf die Hintergrundinformationen zu beschränken, die für Annas Leben relevant waren. Wann z.B. Tutanchamuns Grab entdeckt wurde oder wann van Gogh umzog ist im Zusammenhang des Buches weder interessant noch relevant.
Auch sonst neigt der Autor dazu, von allem etwas zu viel zu schreiben. So gibt es Auszüge aus Schulbüchern jener Zeit, in der Anna als Lehrerin arbeitete. Auch hier: tolle Idee, durchaus relevant, aber müssen es fast fünf Seiten davon sein?
Annas Urlaub in Salzuflen wird auf acht Seiten beschrieben, von denen sechs Seiten aus Zitaten aus Werbeprospekten, Veranstaltungshinweisen, Beschreibungen von Kuranwendungen u.ä. bestehen. Ich kann verstehen, daß der Autor versucht, die Umgebung, die Situationen, in denen er seine Urgroßmutter wußte, gedanklich heraufbeschwören, sich ein Bild schaffen möchte. Nur waren es für meinen Geschmack wesentlich zu viele allgemeine Informationen, versehen mit vagen Fragen und Überlegungen, was davon Anna wohl gesehen oder erlebt hat.
Das Buch ist da am besten, wo es sich Anna ohne großes Drumherum widmet, die Informationen betrachtet, die relevanten Hintergründe schildert. Annas Leben ist interessant und facettenreich. Es wäre nicht nötig gewesen, die vorliegenden Fakten durch endlose Fragen, erdachte Situationen und viel zu umfangreiche Hintergrundinformationen aufzupolstern. Seltsamerweise wird der Autor, der sonst gerne drei Sätze schreibt, wo einer ausgereicht hätte, an einer wichtigen Stelle wortkarg – Anna und Clemens Vogelheim möchten heiraten, der soziale Unterschied ist für Clemens‘ Familie nicht akzeptabel und so: „Also legen die Vogelheims ihr Veto ein.“ Hier hätte mich brennend interessiert, in welcher Form das geschah und woher der Autor diese Information hat. Aber er, der sonst vorbildlich erklärt, wie er zu seinen Informationen kommt, belässt es bei diesem Satz, der viele Fragen offenlässt.
Dafür sinniert er an späterer Stelle eine ganze Seite lang darüber, wie lang zwölf Jahre sind, mit einer Fülle an Beispielen, was in der Weltgeschichte alles schon zwölf Jahre lang gedauert hat. Das ist anfänglich eine gute Idee, aber wo zwei Beispiele gereicht hätten, stehen hier unzählige und schwächen dadurch den Vergleich. Das ist symptomatisch für das Buch.
Anstatt sich auf die vielversprechende und spannende Geschichte zu beschränken, gießt der Autor wesentlich zu viel Drumherum dazu. Annas Leben und Leistung steht für sich, es wäre nicht nötig gewesen, einen krampfhaften Bezug zur Frauenbewegung herzustellen. Es wäre nicht nötig gewesen, unzählige Ereignisse aufzuzählen, die mit Annas Leben nichts zu tun haben.
Sein Hinweis, daß man die Lebenswege früherer Zeiten nicht mit den Maßstäben der Gegenwart betrachten darf, ist wichtig. Es hätte aber gereicht, dies einmal dazulegen, nicht mehrere Male und nicht verbrämt mit allerlei philosophischen Gedanken.
Weniger Überinterpretation hätte den Lesern ermöglicht, sich ein eigenes Bild zu machen. Weniger Fragen und Wunschvorstellungen hätten das Wesentliche klarer für sich stehen lassen. Es ist ein äußerst persönliches Buch – das ist einerseits ehrlich und erfreulich, aber für mich, die ich etwas über Anna erfahren wollte, lenkte dies den Fokus von ihr weg und zu Sussebach hin.
Die Umsetzung hat mir also nur eingeschränkt zugesagt. Die Idee fand ich allerdings hervorragend und vieles, was der Autor berichtet, ist äußerst interessant, auch finde ich seine Recherche beeindruckend (zum Vorgehen hätten mich einige Seiten, vielleicht als Anhang, interessiert). Es hat Spaß gemacht, Anna kennenzulernen, sie hat mich beeindruckt, ihre Lebensumstände sind durch die Hintergrundinformationen gut in ihre Zeit eingebettet. Das Vorhaben, Anna dem Vergessen zu entreißen, ist m.E. absolut geglückt.