Aufstieg und Fall großer Mächte

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Nach der Leseprobe hatte ich einen leichte Roman erwartet, den man an gemütlichen Herbstabenden lesen kann, nicht besonders spannend, aber trotzdem liebenswürdig. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Buch so begeistern würde.

Es geht um Tooly Zylberberg, Anfang 30, die einen Buchladen in einem kleinen Ort in Wales betreibt. Eines Tages bekommt sie eine Nachricht von einem alten Freund, der ihr mitteilt, dass ihr Vater Humphrey überfallen wurde und ihre Unterstützung braucht. Daraufhin reist Tooly nach Connecticut, um sich ein Bild von dem Zustand Humphreys zu machen und sich um den mittlerweile über 80-Jährigen zu kümmern. Genau so wenig wie der Leser hat Tooly dabei wohl erwartet, ihre ganze Vergangenheit in Frage stellen zu müssen und herauszufinden, dass eigentlich nichts in ihrem Leben so war, wie es bis dahin den Anschein hatte. Tooly beginnt eine Reise in ihre Kindheit und versucht dabei die Rätsel ihres eigenen Lebens als auch die von Humphrey zu lösen, der dazu selber nicht mehr in der Lage ist.

Der Roman wird in drei Etappen erzählt: die Gegenwart im Jahr 2011, Toolys Kindheit 1988 und ihre Jugendzeit 1999/2000. Zwischen diesen Lebensabschnitten wird hin und her gesprungen, was ich persönlich sehr spannend finde. Anders würde es auch nicht funktionieren, da aus der Sicht von Tooly erzählt wird, die selber erst einmal herausfinden und verstehen muss, was wirklich in der Vergangenheit vorgefallen ist.
Erst ganz zum Schluss wird deutlich, dass ihr ganzes Leben eigentlich auf einer Illusion aufbaut, die nicht der Wahrheit entspricht. Den Titel "Aufstieg und Fall großer Mächte" interpretiere ich so, dass er das Verhältnis zwischen Tooly und den ihr nahestehenden Personen beschreibt. In ihrem ganzen Leben gab es eine Person, die Tooly idealisiert hat, der sie alles verdankte, die eine große Macht auf ihr Leben ausgeübt hat, nur um ganz zum Schluss herauszufinden, dass alles ganz anders war. Ich habe mich beim Lesen lange gefragt, was der Titel eigentlich mit der Geschichte zu tun hat, doch spätestens am Schluss wird alles klar. Und dies im doppelten Sinne, denn es geht nicht nur um die eine für Tooly wichtige Person, sondern auch um die großen Mächte der Welt, denn Tooly hat auch eine politische Leidenschaft.

Tooly Zylberberg hat mich fasziniert. Zuerst, weil ich mir nach den ersten Seiten eine ältere Dame vorgestellt hätte, wäre ihr Alter nicht erwähnt worden. Für mich klingt Tooly deutlich älter als 30. Und auch in ihrer Kindheit ist sie ihren Altersgenossen aufgrund ihres Umfeldes intellektuell weit voraus. Doch gleichzeitig ist sie manchmal noch so herrlich kindlich und fasziniert von allem um sie herum. Ein sehr sympathischer Charakter, der mir bestimmt noch lange in Erinnerung bleiben wird.