Einfühlsam erzählt, aber mit Längen

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lilli333 Avatar

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Inhalt:
2011. Tooly Zylberberg ist die Besitzerin eines bankrotten Antiquariats in einem kleinen Dorf in Wales. Zusammen mit ihrem Angestellten Fogg verbringt sie den Großteil des Tages mit Lesen. Als Tooly eines Tages von einem Ex-Freund aus Amerika die Nachricht erhält, dass es ihrem Vater sehr schlecht geht, reist sie dorthin und wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Eine Vergangenheit, die sie nie so richtig verstanden hat. Eine Vergangenheit, die ihr die Wurzeln genommen hat. Auf ihrer Reise erfährt sie einiges über ihre Herkunft, über die Menschen, die sie großgezogen haben.

Meine Meinung:
Tom Rachman erzählt sehr einfühlsam. Man kann schön in die Protagonisten hineinschauen und lernt sie schnell lieben. Nach und nach lernt man ihr tiefstes Inneres kennen, und das ist sehr interessant, denn wir haben es hier nicht mit 08/15-Protagonisten zu tun, sondern mit besonderen, merkwürdigen Menschen.

Zum Einen wäre da natürlich Tooly, die ihre Kindheit in vielen verschiedenen Ländern verbracht hat, nie länger als ein Jahr in derselben Stadt - wie wir später erfahren, aus gutem Grund. Dann gibt es Paul, der um Tooly besorgt ist, aber trotzdem seine Schwierigkeiten mit ihr hat. Sarah ist eine charmante Frau, aber ziemlich flatterhaft und verantwortungslos. Humphrey hat das Leben schon übel mitgespielt, aber er kümmert sich rührend um Tooly, wenn auch nicht unbedingt kindgerecht. Dann gibt es noch den charismatischen Venn, der anscheinend die Fäden in der Hand hält und dem es alle recht machen wollen. Wie diese Personen miteinander verknüpft sind, wird im Roman Stück für Stück enthüllt.

Dazu springt Rachman zwischen drei Zeitebenen hin und her. 1988 ist Tooly etwa 9 Jahre alt, 1999 20 und 2011 Anfang 30. Diese drei Jahre stehen für bestimmte Abschnitte in Toolys Leben. Ich möchte dazu gar nicht mehr sagen, denn ich möchte ja nicht die Handlung verraten. Der Wechsel der Zeitebene ist klar zu erkennen, verwirrt den Leser also nicht. Teilweise ist ein kleiner Cliffhanger eingebaut, was ein bisschen Spannung erzeugt, von der es leider insgesamt etwas zu wenig gibt. Aber auch wenn das Buch nicht gerade vor Spannung explodiert, denke ich doch, dass es eine recht interessante und lesenswerte Geschichte ist.

Durch bildhafte Beschreibungen wirkt der Roman sehr atmosphärisch. Man kann sich sowohl die Personen als auch das Ambiente, diese alte Buchhandlung in Wales oder die Straßen von Bangkok oder New York, sehr gut vorstellen. Herrlich, wie Tooly mit Fogg oder Humphrey den ganzen Tag in den Büchern verbringt und ein wenig von dem von ihnen Gelesenen auch uns Lesern zugänglich wird. So erfahren wir nebenbei noch etwas über die französische Revolution oder über russische Staatsmänner und vieles mehr.

„Aufstieg und Fall großer Mächte“ ist eigentlich ein großartiger Roman, und doch hat er mich nicht uneingeschränkt begeistert. An einigen Stellen ging es mir einfach zu langsam voran, da zog sich ein Abschnitt wie Kaugummi. Eine etwas straffere Erzählweise wäre mir lieber gewesen. Aber das ist vielleicht mein ganz subjektives Empfinden.