Golden Boys

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marapaya Avatar

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Rezensionen sind per se subjektiv. Literatur lässt sich zwar unter gewissen objektiven Gesichtspunkten untersuchen – wie ich einen Text empfinde, kann mir allerdings durch niemanden vorgeschrieben werden. Dennoch sollte auch eine Rezension nicht von zuviel Leserpersönlichkeit eingefärbt sein. Bei Christos Tsiolkas Schwimmer-Roman breche ich heute mal aus diesem klassischen Rezensionsmuster aus und formuliere einfach eine freie Lesart. Ich habe mich schwer getan mit diesem Buch. Nicht, weil ich es nicht mochte oder weil es schlecht geschrieben war. Nein, weil ich über meine eigenen Vorurteile gestolpert bin und mich das Thema des Buches trotz vorheriger Lektüre der Leseprobe kalt erwischt hat. Danny ist mir für einige Zeit ein anstrengender Begleiter gewesen. Sein Streben nach Weltklasse, seine Ängste, seine Zweifel, sein Vertrauen in sich und andere und schließlich sein Scheitern und die Schmach, die tiefe Trauer darüber haben mich gleichermaßen berührt wie abgestoßen. Und immer wieder hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass man mir einen Spiegel vorhalten will. Ich habe mich seltsam angesprochen gefühlt. Wahrscheinlich weil Tsiolkas über die ureigensten Triebe im Menschen schreibt. Weil er uns genau da erwischt, wo es wehtut: In dem Wunsch über das Mittelmaß hinaus zu wachsen und der höllischen Angst davor, irgendwann zu erkennen, eben nur Durchschnitt zu sein. Unsere Gesellschaft duldet nur Gewinner, immer soll es höher hinaus gehen, Orientierung geben die, die über uns stehen, nicht die, die unter uns sind. Dannys Antrieb setzt da an, lange bevor er auf die Privatschule als Stipendiat aufgenommen wird. Den Grundstein enthüllt uns Tsiolkas erst auf den letzten Metern und gibt damit den knapp 500 Seiten einen fatalistischen Sinn, der mich dennoch unbefriedigt zurücklässt. Was will „Barrakuda“ sein? Ein Roman über das Scheitern und den Umgang damit? Ein Adoleszenz-Roman? Familie? Coming-Out?
Danny Kelly ist ein guter, schneller Schwimmer. Bald bestimmt diese sportliche Leistung sein ganzes Leben. Er definiert sich nur noch als Schwimmer, der ein klares Ziel vor Augen hat: die olympischen Spiele. Sieg. Gold. Danny verliert sich gleichermaßen im Schwimmen. Während seine Freunde sich mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinander setzen, Verluste hinnehmen, Erfolge einstecken, die Persönlichkeit formen, Ziele für die Zukunft formulieren, schwimmt Danny einfach nur. Definiert sich allein über das Schwimmen und das Siegen. Ist völlig unvorbereitet, als das Gewinnen ausbleibt und die Leere einkehrt. Diese Leere ist der eigentliche Motor des Buches. Die Leere verändert Danny, er wird zu Dan. Statt dem Sieg hinterher zu schwimmen, liegt er auf dem Rücken und lässt sich treiben. Von seiner Wut, seiner Scham, seiner Hilflosigkeit der neuen Ziellosigkeit gegenüber. Diese Leere umfasst auch seine Familie. Grausam ehrlich ist Tsiolkas, als er beschreibt, dass die Liebe und Unterstützung der Familie nicht ausreicht, nichts verändert, die Situation für alle Beteiligten sogar noch verschlimmert. Er zeigt, wie prägend die Erfahrungen mit der Familie für unser ganzes Leben ist und das die Konflikte der Eltern mit ihren Eltern unweigerlich Auswirkungen auf ihre Kinder haben. Familie hin oder her, ich entscheide mich für den adoleszenten Gesellschaftsroman, mit dem Schwerpunkt Australien und damit bin ich froh, heute einfach nur eine Lesart zu verfassen. Denn diese Entscheidung entspringt meinem reinen Bauchgefühl und meiner Leseerfahrung. Über Australien und seine Gesellschaft weiß ich herzlich wenig. Tsiolkas Beschreibungen offenbaren mir eine junge Nation, die ich nicht ohne weiteres mit Europa oder Amerika in einen Topf werfen kann. Da sirrt etwas für mich ungreifbares zwischen den Zeilen, etwas, was viel tiefer geht, als der offensichtliche Konflikt zwischen Sieg und Scheitern, zwischen Familie und Heranwachsen, zwischen Identitätsfindung und Sexualität. Es ist die Kritik an unserem Drang, immer zu den Besten gehören zu wollen. Sich ständig zu messen und zu vergleichen. Ein Zwang, der das kurz empfundene Glück über den Sieg schnell schal werden lässt, den nächsten Sieg fordert, um das Glück neu zu fassen. Dan geht einen schweren Weg, am Ende wird er im Schwimmen auch wieder leises Glück empfinden können und dieses Glück hat nichts mit Goldmedaillen und Siegesschleifen zu tun.