Leben mit der Scham

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buecherfan.wit Avatar

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In seinem neuen Roman “Barrakuda” erzählt Christos Tsiolkas die Geschichte von Daniel Kelly, einem sehr talentierten Jungen, der der beste Schwimmer aller Zeiten werden will und nur ein Ziel vor Augen hat: in Sydney als Olympiasieger mit der Goldmedaille auf dem Treppchen zu stehen. Als 14jähriger entdeckt ihn der Schwimmtrainer einer Eliteschule für die Söhne der Reichen und Privilegierten, zu denen Danny als Arbeiterkind aus einer schottisch-griechischen Einwandererfamilie nicht gehört. Er bekommt ein Stipendium und trainiert täglich sehr hart frühmorgens vor der Schule und nach dem Unterricht. Seine neuen Mitschüler lassen keinen Zweifel daran, dass er dort nicht hingehört und mobben ihn gnadenlos. Nur mit Luke Kazantsis, einem anderen Außenseiter, Sohn eines Griechen und einer Vietnamesin, freundet er sich an. Diese Freundschaft wird alle Krisen überdauern. Danny wandelt seinen Hass in Energie um und bezieht aus ihm die Kraft, stärker, besser und schneller zu werden als alle anderen. Seine Siege machen ihn berühmt, und er wird sogar in die Familie eines Schwimmers aus dem Team, des von ihm sehr bewunderten Martin Taylor eingeladen. Nichts scheint seinem unaufhaltsamen Aufstieg entgegen zu stehen, bis er eines Tages in einem wichtigen Wettkampf in Japan nur Fünfter wird. Danny bricht völlig zusammen, trinkt, wird gewalttätig und landet im Gefängnis. Danach muss er einen neuen Anfang machen, sein Leben ganz neu ausrichten. Im Gefängnis entdeckt er die Literatur für sich. Fortan wird das Lesen das Schwimmen ersetzen, Bücher werden die Welt für ihn sein (“Worte waren Wasser, Lesen war Schwimmen. Wie früher im Wasser konnte er sich auch im Lesen verlieren: Geist und Körper wurden eins.” S. 314).

Tsiolkas hat für seine Geschichte eine komplizierte Zeit- und Erzählstruktur gewählt. Er hat sich für umgestelltes Erzählen entschieden, geht sogar innerhalb der Kapitel immer wieder zeitlich vor und zurück. Erzählt wird zwar immer aus Dannys Perspektive, jedoch abwechselnd in der ersten und dritten Person. Vieles ist gut gelungen an diesem Roman, vor allem die Charakterisierung nicht nur des Protagonisten, sondern auch vieler Nebenfiguren. Der Autor zeichnet den schweren Weg des Jungen nach, der an sich selbst mindestens so hohe Erwartungen stellt wie sein Umfeld und nach dem tiefen Fall mit seiner Scham leben muss (“Es ist, als würde man ein ganzes Haus auf dem Rücken tragen.” S. 168). Der Roman behandelt jedoch viele andere Themen: Liebe und Hass, Homosexualität, Snobismus und ausgeprägtes Klassenbewusstsein, gesellschaftliche Ausgrenzung von Einwanderern, Probleme einer modernen Leistungsgesellschaft, übertriebene Fixierung auf den Sport.

Besonders gelungen - auch sprachlich - sind die Beschreibungen der Wettkämpfe, vor allem Dannys besondere Affinität zum Wasser. Daneben gibt es jedoch auch ausgesprochen drastische, sehr unappetitliche Beschreibungen sexueller Aktivitäten von Homosexuellen. So genau möchte ich das alles gar nicht wissen.

Insgesamt liest sich die Geschichte von Barrakuda, dem pfeilschnellen, barschverwandten Pfeilhecht, ganz gut, auch wenn das zentrale Ereignis, der totale Zusammenbruch mit dem daraus folgenden Karriereende nach einer einzigen Niederlage nicht völlig überzeugt. Mit Abstrichen empfehlenswert.