Das Buch der Stunde

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schneeglöckchen_gk Avatar

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In Johannes Groschupfs Thriller „Berlin Heat” geht es um Tom Lohoff, einen hoffnungslosen Zocker, der durch seine Spielsucht hohe Schulden hat, seinen Vater anpumpt und den Mitbewohner beklaut. Über Wasser hält er sich mit krummen Geschäften, Wohnungen, Drogen, solche Sachen. Nachdem ihm die brutalen Geldeintreiber ein Ultimatum gesetzt haben, vermietet er eine seiner Wohnungen an zwei dubiose Typen und ab da überschlagen sich die Ereignisse und er rutscht immer tiefer ins Schlamassel hinein. Obwohl eigentlich nur das Schicksal von Tom – einem Typen, den man wohl durchaus als nicht sonderlich sympathischen Looser beschreiben kann – erzählt wird, schafft es der Autor, die Leser jederzeit neugierig zu halten und durch zahlreiche Ereignisse die Spannung hoch zu halten. Durch das tragische Ende, an dem ich sogar Mitleid mit Tom verspürte, wurde die Story in einen größeren Kontext eingebettet und macht nachdenklich über unsere Gesellschaft und eine Hauptstadt, in der solche Vorfälle ohne weiteres möglich zu sein scheinen.

Absolut faszinierend fand ich das generelle Tempo aber auch die feinen Tempowechsel innerhalb des Romans. Anfangs (in der Leseprobe) war das Tempo unglaublich hoch, man konnte das Pulsieren der Stadt förmlich spüren. Oder war es doch nur das vom Ritalin beschleunigte Blut in Toms Adern? Immer mehr hatte ich das Gefühl, das Tempo orientiert sich an Tom. Konnte er nach einer weiteren Nacht mit nur 3h Schlaf keinen klaren Gedanken fassen, passte sich auch der Schreibstil kaum merklich an – und vermittelte so sehr nuanciert dessen Gefühlslagen.

Es kommen zahlreiche Figuren im Roman vor, über die man aber einen guten Überblick behält. Alle werden mit Vornamen angesprochen und schnell wird klar, dass es trotz der Größe der Stadt in diesem Milieu keine Anonymität gibt und jeder jeden kennt. Die Protagonisten sind pointiert gezeichnet, für mehr Ausführlichkeit oder gar tiefere Charakterstudien ist kein Platz im Umfang des Buchs. Das tut dem Thriller aber keinen Abbruch, der Autor gibt genau so viele Informationen zu den Personen, wie nötig. Genau so wohldosiert habe ich auch die Verwendung anderer Stilmittel, wie z.B. typischer Klischees, im Buch wahrgenommen. So ging es mir auch mit den Schauplätzen der Handlung; bereits mit einer groben Ortskenntnis konnte man Toms Routen und Beschreibungen gut folgen und sich ein eindrückliches Bild machen. Durch die Charaktere, die atmosphärische Beschreibung und die Örtlichkeiten ist bei mir jedenfalls richtiges Berlin-Feeling entstanden.

Über die Themenfelder des Romans: Die Frauengeschichten von Tom boten für mich eine interessante Abwechslung zu den sonst teils brutalen Szenen. Dabei scheint er es mit dem Motto Berlins zu halten. „Arm aber sexy“ ist auch bei Tom Programm und so erleben wir erst die zarte Liebesgeschichte mit Marla und später den Pakt mit Romina. Der Bezug zu Corona findet sich eher in gelegentlichen Randbemerkungen. So musste ich schmunzeln, als Tom anmerkt, dass es ihn immer noch stört, wenn ihm Leute in den Nacken atmen oder er sich über den Aerosol-Ausstoß seines Gegenübers Gedanken macht. In meinen Augen stellt dieses Buch kein Politthriller dar, da die Hauptfigur sich quasi gar nicht im politischen Milieu bewegt. Zwar hat er durch die Entführung Kontakt zu diesem AfD-Politiker und gegen Ende wird die Geschichte zunehmend politischer. Trotzdem scheint mir die Politik nur eins von vielen Themen des Buches zu sein, genau, wie sie eben auch einer von vielen Bestandteilen der Hauptstadt Berlin ist.

Obwohl der Klappentext bereits sehr viel über die Handlung preisgibt, gab es immer wieder spannende Wendungen und ein überraschendes und zugleich sehr tragisches Ende. Etwas gestört hat mich in diesem Zusammenhang, dass die Auflösung der Entführung sehr knapp und nur bruchstückhaft stattfand. Gerade weil man von Anfang an wusste, dass die Entführung nur fingiert ist, hätte ich mir eine eindeutige Erklärung der Vorgänge gewünscht. (Wie haben die Ermittler es herausgefunden, etc.?)

Mit seinen 254 Seiten Umfang ist der Roman angenehm schmal und lässt sich zügig lesen. Das Cover wirkte in der Online-Vorschau eher eintönig auf mich, macht in echt aber durch den silbernen Schimmer der Schrift und des Fernsehturms doch was her und sieht ansprechend aus. Es passt zu der schnörkellosen Art des Buches. Scheint der glühend rote Kopf zunächst nur als Metapher für die Hitze in der Stadt zu stehen, wird er im Finale der Geschichte beklemmend real. Der Umschlag ist solide und stabil und sieht auch nach mehreren Lesern noch gut aus.

Fazit: Ich kann dieses Buch wärmstens empfehlen, es bietet ein kurzweiliges Lesevergnügen und passt mit seiner Gegenwartsfiktion perfekt zu diesem Sommer. Man sollte keinen reinen Politikthriller und auch keine tiefgründigen Charakterstudien erwarten. Dem Leser wird aber definitiv ein fesselnder, unterhaltsamer und temporeicher Ritt durch die kochende Hauptstadt geboten.