Leiser Coming-of-age Roman

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Ein Bildungsroman – als ich dieses Wort in der Beschreibung des Romans gelesen habe, war ich mir zuerst einmal unsicher, ob mir solch ein Buch überhaupt gefallen könnte. Denn beim Wort „Bildungsroman“ kommt mir gleich „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Goethe in den Sinn und ich fühle mich wieder in meine Schulzeit zurückversetzt. Da es in einem Bildungsroman jedoch vor allem um die Entwicklung und das Erwachsenwerden der Hauptfigur geht und ich Romane amerikanischer Autoren sehr gerne mag, habe ich dem Buch eine Chance gegeben – und wurde nicht enttäuscht.
Callan Wink, geboren 1984, beschreibt in seinem Roman „Big Sky Country“ sehr einfühlsam die Zeit des Erwachsenwerdens seines Protagonisten August. Die Geschichte beginnt, als August 12 Jahre alt ist. Er wächst auf einer Milchfarm in Michigan auf und gleich schon am Anfang wird man mit der Nüchternheit dieses bäuerlichen Lebens konfrontiert, nämlich dann, als der Vater August für jede Katze, die er „eliminiert“, einen Dollar verspricht und August diese Herausforderung ohne große Emotionen zu zeigen annimmt. Kurz darauf lassen sich die Eltern scheiden und er zieht mit seiner Mutter, die eher intellektuell veranlagt ist, ins „Big Sky Country“, nach Montana. Während der nächsten sieben Jahre begleitet man August auf seinem Weg vom Kind zum Erwachsenen. Sein Interesse an Sport erwacht, er erlebt sein Erstes Mal mit einer Freundin seiner Mutter, nach der Highschool zieht er ruhe- und haltlos umher und arbeitet als Hilfsarbeiter auf verschiedenen Ranches, lässt sich auf eher dubiose Menschen ein. Letztendlich findet er aber seinen Platz im Leben, wird sesshaft und schreibt sich am College ein.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, obwohl ich durchaus Bedenken hatte, ob ich mich mit dieser Männerwelt, wie sie hier beschrieben wird, identifizieren kann. Callan Wink schreibt sehr flüssig, in einer eher nüchternen, schwerelosen, leisen Sprache, aber doch eindringlich und oft auch schonungslos. So wird man als Leser*in zum Beispiel nicht von der unterschwelligen Gewalt des täglichen Lebens verschont, die Zartheit seines Stils relativiert dies jedoch wieder. Während des Lesens hatte ich immer wieder die Landschaft Montanas, die er beschreibt, vor Augen: das weite Land, Flüsse, Wälder und Gebirge. Da ich sonst eher amerikanische Romane, die an der Ostküste spielen, lese, hat das meinen Lesehorizont wieder ein Stück weiter gemacht. Toll fand ich auch, wie die Vater-Sohn-Beziehung dargestellt wird. Die Unfähigkeit, miteinander über Gefühle zu reden, wird vor allem in den Telefongesprächen deutlich, in denen nur über Belangloses wie das Wetter geredet wird. Trotz der Hürden, denen August auf seinem Weg begegnet, ist er am Ende des Romans mit sich im Reinen und dies sorgt für einen runden Abschluss der Geschichte.
Wer zeitgenössische amerikanische Literatur mag, sollte dieses Buch auf seine Leseliste setzen!