Über Freiheit und Sehnsucht

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la calavera catrina Avatar

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„Das Leben von jedem, den du kennenlernst, kann von deinen Worten aus den Angeln gehoben werden. Hast du darüber mal nachgedacht?“ S. 248

„Big Sky Country“ erzählt die Geschichte von August wie er vom Jungen zum Mann wurde; wie er mit seinem ersten Auto dem Gefühl von Freiheit ganz nahe kam und einschneidende Ereignisse sein Schicksal zeichnen. August ist einfach gestrickt. Nur Hunde scheinen eine Bedeutung für ihn zu haben. Kühen und Katzen begegnetet er mit Respektlosigkeit. Er ist stets auf der Suche und lebt einfach, während er bereit ist, hart zu arbeiten und akzeptiert, was das Schicksal für ihn bereit hält. Aber es gibt etwas, das August in die Verzweiflung stürzt: Frauen.

Trotz auktorialer Erzählperspektive habe ich mich dem Geschehen nah gefühlt. Augusts Gedanken nicht genau zu kennen, machte sogar den Reiz aus, wenn man seine Verschlossenheit bedenkt. Es lässt Interpretationsspielraum und ließ mich neugierig bleiben, wie sich August entwickeln würde. Das Ende war nicht vorherzusehen. Es kam mir vor wie eine Talfahrt: die plötzliche Flucht, die deprimierende Stimmung im zweiten Teil, die Wendung am Ende und das gefühlsaufgreifende Wetter, die Landschaft, der amerikanische Flair aus Träumen und Widersprüchen, Fast-Food, Alkohol, Rindfleisch, Rodeo und rustikalen Schimpfwörtern. Bei alledem darf man den schweigsamen August nicht unterschätzen, der, wie sein Vater von sich selbst sagt, mehr von allem versteht, als es den Anschein hat. Ich mochte vor allem die Gespräche mit seiner Mutter, die besorgt und sinnierend zugleich sein konnte, während die Dialoge mit seinem Vater eher praktischer Natur waren, wobei es August vermied, tiefgründiger zu werden.
Callan Wink ist es hervorragend gelungen, die Entwicklung eines jungen Mannes im Laufe der Jahre so fein und authentisch zu zeichnen, dass sein eigentümlicher Charakter die Geschichte trägt. Es sind die teils philosophischen Dialoge, die Begegnungen im Leben, die berührenden Momente und die stetige Weiterentwicklung von August, die mich am meisten überzeugt haben. Die erhabenen und rauen Landschaftsbilder, die Leichtigkeit und Ruhe, mit der Wink erzählt und erschreckende, realistische, wie lyrische Gebilde baut, die sich einbrennen, von augenscheinlich unbedeutenden Momenten. Es war wunderbar mit August zu reisen und seine ersten Male mitzuerleben. Dieser Roman braucht Zeit, um seine Kraft zu entfalten, aber hält am Ende soviel bereit: schmerzhafte und schöne Veränderungen in Augusts Leben, der letztlich durch sein Handeln inspiriert, weil er seine Angst ein Stück weit hinter sich lassen konnte. Die letzte Szene im Rückspiegel fand ich grandios. Für jeden, der amerikanische Literatur und Coming-of-Age-Romane mag.