Stehaufmännchen

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Wir sind in den 80ern, Helmut Kohl hat gerade zum ersten Mal die Bundestagswahl gewonnen und Daniel freut sich auf seine Konfirmation. Dabei denkt er vor allem an ein blaues Samtsakko und die "Einnahmen" aus den Konfirmationsgeschenken, weshalb er eine große Feier möchte. Aber das wird nichts, denn wie sich nach und nach herausstellt, ist die Familie pleite.
Christian Schünemann nimmt uns durch seine präzisen Beschreibungen mit auf eine Zeitreise in die 80er, deren Besonderheiten und Lebensgefühl sehr gut vermittelt werden. Er geht sogar noch weiter, weil er besondere Szenen aus den Leben der Eltern und Großeltern aufblättert und man bis zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts geführt wird.
Einerseits ist es ganz spannend, dass die Familiengeschichte breiter gefasst ist, andererseits haben mich v.a. am Anfang die häufigen Rückblicke etwas irritiert. Ich hatte das Gefühl, von dem eigentlichen Geschehen immer wieder abgelenkt zu werden.
Was mich ebenfalls am Anfang gestört hat, war der Erzählton des Ich-Erzählers Daniel. Überlange Schachtelsätze haben meinen Lesefluss gestört und ich fand diese für einen 14-Jährigen auch nicht glaubwürdig. Das hat sich allerdings im Laufe des Buches relativiert.
Der Roman streift viele Krisen in der Familiengeschichte, die Pleite ist nur die (aktuell) letzte in einer Reihe. Und aus allen Krisen sind die Familienmitglieder herausgekommen, deshalb habe ich diese Besprechung auch mit "Stehaufmännchen" überschrieben. Daniels Eltern ignorieren erst ganz lange ihre Schwierigkeiten, machen mit ihren letzten Kröten noch einmal eine Reise, anstatt wenigstens einen Teil ihrer Schulden zu bezahlen und als es dann doch zur Zwangsversteigerung ihres Hauses kommt, suchen sie sich Jobs und machen wieder große Pläne für die Zukunft.

Man lernt die Vorgenerationen gut kennen. Was mir fehlt, ist eine Entwicklung von Daniel, der ja der eigentliche Protagonist sein soll. Er beschreibt die Ereignisse von außen, wirkt distanziert, nicht wirklich involviert. Der Autor schreibt im Nachwort, dass er so weit in die Geschichte zurück gegangen ist, um zu zeigen, warum alles so passiert ist, wie es passiert ist. Für mich wäre interessant gewesen, wie Daniel das Ganze beeinflusst hat. Aber das wird offen gelassen.