Der Auftrag des Expedienten

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philipp.elph Avatar

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Olav bezeichnet sich als Expedient – das ist sein Ausdruck für „Auftragskiller“ – und er erzählt aus seinem Leben, gerade als er jemanden im Auftrag des Chefs getötet hat. Zunächst erscheint es so, als ob Forest Gump aus den USA des letzten Jahrhunderts nun nach Norwegen gebeamt wurde und zu Olav mutiert ist. Doch dann entwickelt sich der Auftragskiller zu einem eigenständigen Typen. Zunächst stellt er sich recht naiv dar und erklärt, was ihn bewegt: Es ist ein neuer Auftrag.

Er soll eine Frau expedieren. Fatalerweise ist es die Frau seines Bosses. Und noch fataler: Olav verknallt sich in sie. Aber es ist schwierig für ihn, sich vor dem Job zu drücken, denn der Boss beharrt auf der Erledigung und Olav kennt sich nur zu gut. Der Job als Expedient liegt ihm, zu anderen Aufgaben, die ihm übertragen werden könnten, fühlt er sich nicht in der Lage. Einen Fluchtwagen zu fahren, Raubüberfälle zu begehen, sich im Drogengeschäft durchzusetzen oder Prostituierte gewinnbringend zu führen – das alles wären Alternativen, die ihm der Boss anbieten könnte, sind aber nicht sein Ding. Dazu ist er zu nervös oder zu nett.

So bleibt ihm nur eins: ohne dass Emotionen in ihm hochkommen zu töten. Bei dieser Tätigkeit hatte er bisher auch vorzüglich funktioniert. Doch bei der Vorbereitung zum Exodus von Gangsterboss’ untreuer Ehefrau gelingt ihm das nicht mehr. Zunächst ermordet er den Liebhaber, der unglücklicherweise der Sohn und designierte Nachfolger vom Boss ist. Der Boss – not amused – setzt ein Kopfgeld auf seinen Expedienten aus. Olav flüchtet darauf in die Obhut eines rivalisierenden Gansterbosses, was nun wieder weitere fatale Verwicklungen zu Folge hat, wobei die Rolle der Frau, die Olav töten sollte, die er jetzt beschützt und verhätscheln möchte, als recht gefährlich für den verliebten Beschützer darstellt.

Nun ist bekanntlich – wie Forest Gump bereits feststellte – das Leben wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt. Und so ist es auch mit Jo Nesbøs Blood on Snow. Zwar ist von Beginn an klar, dass hier nicht der 11. Band der Harry-Hole-Reihe vorliegt, dass nicht mehr der Ermittler die zentrale Figur des Thrillers ist, sondern ein Auftragsmörder. Doch dann überrascht Nesbø. Olav Johansen ist nicht der Simpel wie er sich zunächst darstellt, der als Legastheniker seinem Schwarm, der tauben Supermarktkassiererin Maria, sich per Brief erklären möchte. Er ist ein sehr belesener junger Mann mit Hochschulreife, dessen stilles, linkisch wirkendes Werben um Maria rührend und voller Poesie erscheint. Und diese Seite Olavs ist wie eine weitere Praline in der Blood on Snow-Schachtel. Der Auftragskiller tötet einerseits emotionslos „in der Regel Männer, die es irgendwie verdient haben“. Andererseits stellt er sich selbst als schüchterner, unbedarfter junger Mann dar, der lange Zeit nicht in der Lage ist, seine vorhandenen Gefühle verständlich auszudrücken.

Nach Blood on Snow wird in wenigen Monaten bereits der nächste Thriller von Jo Nesbø erscheinen, in dem einige der Figuren aus diesem Buch wieder auftauchen werden. Wie der Autor in einem Interview mit Marcus Müntefering sagt, das bei Polar-Noir veröffentlicht wurde, ist dieser und auch der kommende Thriller angesiedelt im Oslo der 1970er Jahre, „als Oslo in gewisser Weise seine Unschuld verlor. Heroin tauchte zum ersten Mal auf und wurde sehr schnell sehr populär.“ Wenn das der Start einer neuen Reihe ist, so ist er vorzüglich gelungen.