Ein fast perfekter Debütroman

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kaisu Avatar

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Die Lobotomie, […] ist eine neurochirurgische Operation, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt werden (Denervierung). Sie wurde ursprünglich zur Schmerzausschaltung in extrem schweren Fällen angewendet, dann bei agitierten psychischen Erkrankungen wie Psychosen und Depressionen. Als Folge der Lobotomie tritt eine Persönlichkeitsänderung mit Störung des Antriebs und der Emotionalität auf. [wiki]

Jefferson Winter ist Profiler. Nun gut, dass sind einige Charaktere in Büchern. Was lässt den Amerikaner also aus der Masse hervorstechen? Zunächst einmal ist der berühmt. Er hat einen gewissen Ruf, der ihm sogar über den großen Teich, bis nach England voraus eilt, wo er zur Hilfe angefordert wird. Aber das nützt einem bekanntlich nicht viel, wenn die Resultate nicht stimmen. Also muss hier irgendwo ein Fünkchen Wahrheit versteckt sein.

„Jefferson Winter, der große Profiler aus Amerika.“ [S.49]

Der Mordfall um den es hier geht, hat es in sich. Vier Frauen wurden bereits gefunden, deren Leben ein grausames Ende fand. Zwar weilen sie noch unter den Lebenden, doch ein Wort, ein Gefühl oder gar eine Regung ist nicht aus ihnen herauszubekommen. Ihnen wurde ihr Innerstes betäubt, ihre Seele genommen und es befindet sich bereits eine fünfte Frau in den Fängen des perfiden Killers. Nun soll Mister Winter der Londoner Polizei quasi den Hintern retten. Denn der öffentliche Druck ist groß. Man erwartet Ergebnisse. Doch wie soll man die haben, wenn einem die Opfer nicht weiterhelfen können? Wenn es keinen Schauplatz gibt, wo Indizien gesammelt werden können? Die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen beginnt.

Der Amerikaner wird direkt von Detective Inspector Mark Hatcher in Empfang genommen und zu dem letzten weiblichen Opfer ins Krankenhaus gebracht. Dort wird Jefferson und dem Leser direkt klar aufgezeigt, zu was der Täter fähig ist und wie gefühllos er vorgeht. Schnell wird man mit der Methodik bekannt gemacht, zu deren Ausführung man kein studierter Chirurg sein muss.

„[…] wir sprechen hier im Grunde von Schlächterei, die mit Chirurgie nicht viel zu tun hat.“ [S.93]

Allein wenn man die Details liest, läuft es einem kalt den Rücken runter und man fühlt sich an den Film „Shutter Island“ erinnert. Wo die gleichen Praktiken angewendet werden. Durch die wenigen Ausschmückungen, sondern der vollen Konzentration auf das Geschehen, kommt man in der Handlung zügig voran. Es gibt eine klare Linie, von der eigentlich nie abgewichen wird. Zeitweise wirkt dies zu sauber und man hätte sich ein paar Ecken und Kanten gewünscht. Dem Lesevergnügen, gibt dies aber keinen Abbruch.

Die Charaktere sind gut ausgebaut und besondern den Profiler schließt man schnell in sein Herz. Er ist geprägt von den letzten Worten seines Vaters auf dem Todesstuhl, der ein berühmter Serienkiller war und hat immer Sorge, dass er zu sehr von ihm gebrandmarkt wurde. In dem Auftaktband wird darauf noch nicht allzu sehr eingegangen, was aber vermutlich – beziehungsweise „hoffentlich“ – in den kommenden Bänden passiert.

Jefferson spricht aus der Ich-Perspektive zu dem Leser, was seine Bindung noch verstärkt.
Besonders seine gedanklichen Phasen sind außergewöhnlich faszinierend, auch wenn er nicht der erste Charakter ist, der diese Variante der Ermittlung vorzieht. Schön ist auch, dass jede Idee und jeder Ansatz von ihm erklärt wird. So kann man es wunderbar nachvollziehen und fragt sich nicht, wo er dieses Ass aus den Ärmel gezogen hat.

Irgendwann lernt man auch den Killer kennen. Ab diesem Moment ist man bei manchen Dingen, der Polizei einen Schritt voraus. Jedoch sind diese Szenen so geschickt eingesetzt, dass man den Profiler und sein Team am liebsten packen würde, um ins Gesicht zu schreien „Nein! Passt auf!“. Vor allem bei einer bestimmten Prognose ist das sehr gravierend und man bangt Zeile um Zeile mit, ob sie es rechtzeitig schaffen oder nicht. Man kann also sagen, dass der Autor durchaus weiß, wie es mit Spannung umzugehen hat. Was mir sehr gut gefallen hat. Als es dann zum Showdown kommt, möchte man einfach nur noch schneller lesen können um zu wissen wie es endet, da man dem Autor alles zutrauen würde.

Letzlich finde ich den Debütroman fast perfekt.
Die Hauptfigur ist sympathisch, es wird kein typischer Ermittler-Plot eingegangen, wie man es bei der Teambildung erwarten würde. Es gibt eine gehörige Portion an Selbstzweifel, Selbstbewusstsein, Frust, Angst, Vergangenheit, Hoffen und Bangen. Diese Kombi klingt wirklich perfekt, doch letztlich hätte man sich 1-2 kleine Patzer gewünscht. Etwas mehr Menschlichkeit. Manche Figuren bekommen fast den Status von „Unberührbarkeit“.
Man kann es schwer beschreiben, aber wer den Thriller liest, dem wird dies auch auffallen.
Dennoch sind die 9 von 10 Punkten redlich verdient und ich hoffe, dass der nächste Band locker mithalten kann und mehr von Mister Winter Preis gibt.