Alles in Butter

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Was bringt eine Frau dazu, zur mutmaßlichen Serienmörderin zu werden? Dieser Frage will die Journalistin Rika Machida auf den Grund gehen und plant ein Exklusiv-Interview mit Manako Kajii, die als ebensolche verurteilt im Gefängnis sitzt und auf die Verhandlung zu ihrer Berufung wartet. Rika schafft es tatsächlich, von der geheimnisumwitterten Kajimana empfangen zu werden, und verstrickt sich zunehmend in den Fängen der charismatischen und höchst manipulativen Frau. Deren am meisten bevorzugtes Genussmittel: Butter! Von jetzt auf gleich verfällt Rika, wie auch schon vor ihr die verstorbenen, ehemaligen Geliebten der „Schwarzen Witwe“, der Leidenschaft der buttrig-fettigen Speisen, die Kajii sie nötigt zu kosten, um die Chance auf das Interview mit ihr zu erhöhen. Nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr gesamtes privates Umfeld, vor allem ihre Beziehung zu ihrer besten Freundin Reiko, geraten unter Kajiis Einfluss komplett durcheinander, werden auf den Kopf gestellt. Rika muss sich schlussendlich die Frage stellen: Schaffe ich es eigenständig, mich aus diesen Abhängigkeiten wieder zu befreien?

„Je teurer die Butter, desto besser die Qualität, und je mehr sie verwendete, desto schmackhafter das Gericht“ (S. 41) #butterbotschaft

Eins ist klar: „Butter“ sollte man nicht mit vollem Magen lesen! Die Schilderungen der kulinarischen Köstlichkeiten lassen uns ein um das andere Mal das Wasser im Mund zusammenlaufen – ein metatextueller Kniff, der uns direkt zum inhärenten Teil der Erzählung macht, uns selbst von der Serienmörderin Manako Kajii gefangen nehmen lässt. Und genau davon erzählt „Butter“: Von der Macht der Manipulation, individuell wie auch gesamtgesellschaftlich, die uns unsere eigenen Werte und Normen vergessen lässt.

Asako Yuzuki gewährt uns mit ihrem Roman einen spannenden Einblick in die sozialen Gegebenheiten im gegenwärtigen Japan. Die vermeintlich offene und auch mehr in Richtung Westen offene Kultur des Landes ist immer noch stark geprägt von Traditionen und Normen einer alten Zeit, von einem Sich-Zusammennehmen, einer permanenten Selbstkontrolle und von patriarchaler Hegemonie. Als Aushängeschild konservativer, dem Haushalt und ausschließlich der Familie verpflichteter Frauenfiguren wird Manako Kajii gezeichnet, die sich aber gleichzeitig ihrer Eigenständigkeit und ihrer individuellen Macht, die sie ausstrahlt, zutiefst bewusst ist. Sie ist der männermordende Vamp in Form der sorgenden Hausfrau und Köchin, eine Gestaltwandlerin par Excellence. Rika wird von ihr als Feministin „beschimpft“, ein Ausdruck von Weiblichkeit, Selbstsicherheit, von Kajii als Selbstbezogenheit interpretiert.

Yuzukis große erzählerische Stärke liegt genau in diesem faszinierenden Zwiespalt: Hier gibt es kein Schwarz oder Weiß, kein rein definiertes Gut und Böse! Jede Perspektive bietet zumindest ein Fünkchen Identifikationspotenzial, wenn beispielsweise durch Kajiis Äußerungen Strategien des Fatshamings in der Gesellschaft offenbar werden. Rika, die die Mechanismen der Manipulation komplett absorbiert, durchläuft einen Prozess der Identitätsbildung. Sie überprüft, nachdem sie zu sich zurückgefunden hat, ihr Handeln in der Vergangenheit, bewertet sich und ihre Umgebung permanent aufs Neue, repräsentiert die Progression.

„Butter“, aus dem Japanischen in bewährt hervorragender Manier von der Expertin Ursula Gräfe übersetzt, schafft es, mit beinahe naivem Blick auf menschlichen Handlungsweisen und ihre individuellen Konsequenzen zu schauen. Dabei spricht Yuzuki alle Sinne gleichermaßen an, lässt uns in die Geschichte visuell, olfaktorisch und vor allem den Geschmackssinn anregend eintauchen. Kurz muss man*frau sich schütteln, um in die Wirklichkeit zurückzufinden, und genau das ist „Butter“: ein Roman, der dich deine eigene Realität klarer sehen lässt!