Frauen, lebt frei und leidenschaftlich! Über die weibliche Suche nach Sinn und Sinnlichkeit

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laleli Avatar

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Der aktuelle Roman der „Eat Pray Love-“Autorin Gilbert führt die Leser ins New York der 1940er Jahre:
Die etwas naive 19-jährige Vivian kommt vom Land aus einer reichen Familie und ist von ihrem bisherigen Leben gelangweilt. Wie gut, dass sie nach New York zu ihrer Tante geschickt wird, die dort ein kleines Revue-Theater betreibt! Mit Inbrunst wirft sich Vivian ins glitzernde Großstadtleben, tagsüber schneidert sie Kostüme fürs Theater, nachts frönt sie dem Halbweltleben und wechselnden Affären.
In ihrer Unbedarftheit und Abenteuerlust wird sie fast in einen Skandal verwickelt, und ihr Bruder bringt sie zurück zu den Eltern in die Provinz, wo sie sich gebührend langweilt und in ihrer Verzweiflung fast eine unglückliche Ehe eingeht.
Als ihre Tante sie nach New York zurück holt, ist sie geläutert und erwachsener: Die schwierigen Jahre bis zum Kriegsende schlägt sie sich durch, trauert um ihren im Krieg gefallenen Bruder, entfremdet sich der Familie und eröffnet schließlich eine kleine Schneiderei für Brautkleider.

Wichtig ist Vivian neben ihrer Unabhängigkeit vor allem ihre sexuelle Selbstbestimmung: Sie möchte sich an keinen Mann binden und sucht Befriedigung in kurzen Affären. Ihr Freundeskreis ersetzt ihr die Familie. Spät findet sie noch zu einer anderen Art von Liebe: Der zu dem schwer kriegstraumatisierten Frank, mit dem sie durchs nächtliche New York spaziert.

„City of Girls“ ist sorgfältig recherchiert und brillant geschrieben. Gilbert hat sich umfassend über das New York der 1940er informiert und auch Gespräche mit ZeitzeugInnen geführt.
So schafft sie lebendige und farbige Schilderungen, fast meint man Teil der Tingeltangel-Welt des kleinen Revue-Theaters zu sein.
Den Hunger des jungen Mädchens nach Abenteuer und körperlicher Liebe schildert Gilbert ehrlich und einfühlsam. Schilderungen körperlicher Liebe ohne Schwulst und Peinlichkeit sind eine Seltenheit in Romanen, doch der Autorin gelingt auch dies. In einem Interview auf der amerikanischen BuzzFeed News berichtet Gilbert, dies sei der einzige Teil des Buches gewesen, für den sie keine Recherche benötigte, da sie ihn aus eigenem Erleben kenne.
Wichtig in diesem Roman sind aber auch Fragen wie: Wie geht es im Leben nach dem Verlust einer geliebten Person weiter? Wie geht man mit einem herben Rückschlag um? Wie kann ein Neuanfang gelingen?

Man sagt, Frauen läsen Romane, weil sie auf der Suche nach Gefühlen sind und aus einer – immer noch – männlich dominierten Welt fliehen wollen. Insofern mag „City of Girls“ durchaus „Chick Lit“, also moderne Frauenliteratur sein. Doch die Heldinnen des Romans sind zwar auf der Suche nach Lust und Liebe, können aber gut ohne die Erlösung in Form des männlichen Erretters oder der Ehe auskommen. Sie sind nach Unabhängigkeit strebende Frauen, stark und verletzlich zugleich. Man kann Gilbert viel vorwerfen, jedoch nicht, dass sie ein rückwärts gewandtes Frauenbild idealisiere.
Dieser lebensfrohe, pralle und saftige Roman ist ein Lesegenuss ohne Reue und keine von uns wird den Feminismus verraten, wenn sie ihn liest.