Im Hamsterrad

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

In Edith Whartons Roman "Dämmerschlaf" geht es um das Leben der reichen Oberschicht im New York der 20er Jahre. Vorgestellt wird die Familie Manford bestehend  aus der vielbeschäftigten Mutter Pauline Manford, in zweiter Ehe verheiratet mit dem Rechtsanwalt Dexter Manford, ihrer Tochter Nona Manford, dem Sohn Jim aus ihrer ersten Ehe mit Arthur Wyant. Dazu gehört auch Paulines Schwiegertocher und damit Nonas Schwägerin Lita und deren sechs Monate alter Sohn. In der Familie hat Pauline Manford das Sagen. Sie verbringt ihr Leben mit rastlosem Aktivismus  und unterwirft sich dabei einem prall gefüllten Terminkalender, der keine Änderungen zulässt - ein Leben im Hamsterrad selbstauferlegter Verpflichtungen und Verbindlichkeiten. Viele ihrer Aktivitäten ebenso wie die Überzeugungen, die sie kompromisslos vertritt, erscheinen uns heute völlig sinnentleert und oberflächlich. Sie will in der Gesellschaft etwas darstellen und schmückt ihre Gästeliste bei ihren Einladungen gern mit klingenden Namen, auch wenn es sich dabei nur um eine verarmte entfernte Verwandte handelt, die sie ständig um Geld angeht. Ihre Tochter sieht den Lebensstil der Mutter kritisch und weiß, dass sie selbst dabei zu kurz gekommen ist. Mit ihrer etwa gleichaltrigen Schwägerin Lita versteht sie sich blendend, ohne ihre Schwächen zu übersehen. Lita ist oberflächlich, unzuverlässig und unreif, ein Emporkömmling, der das Leben im Luxus genießt. Nona fürchtet, dass die Ehe des geliebten Halbbruders nicht halten wird, weil die Schwägerin seiner gewiss bald überdrüssig sein wird.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Nona Manford. Die Leseprobe versprüht den altmodischen Charme einer längst vergangenen Epoche. Die Autorin wirft einen kritischen Blick auf erstarrte Strukturen, einen veralteten Erziehungsstil und die Rolle der Frau in der damaligen Zeit. Zu diesem Zweck muss sie die Verhältnisse erst einmal beschreiben. Das liest sich interessant, auch wenn ich "Dämmerschlaf" bisher nicht zum Schreien komisch finde. Es ist aber dennoch für uns eine fremde Welt. Sprachlich-stilistisch überzeugt der Roman durch hohe Qualität, zum Beispiel, wenn Wharton Litas Hände beschreibt: "..., Hände, ...,, die schlaff an den Handgelenken hingen, als warteten sie teilnahmslos darauf, geküsst zu werden, oder wie seltene Muscheln oder sich rundende Magnolienblütenblätter auf den Kissen ruhten, die verschwenderisch Litas trägen Leib umgaben." (S. 15)

Ich verfolge die Renaissance der großen amerikanischen Erzähler des 20. Jahrhunderts  - dazu gehört auch der großartige Richard Yates - mit großem Interesse und bin sehr gespannt auf diesen Roman.