Literarisches Baklava

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chrystally Avatar

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Wer es nicht kennt: Baklava ist ein türkisches Gebäck mit Nüssen, das in Honig oder Zuckersirup getränkt wird. Sehr süß, sehr lecker, und ich kann immer nur ein kleines bisschen davon essen. Ähnlich ging es mir mit dem „Bücherschiff des Monsieur Perdu“ von Nina George.
Die Handlung knüpft an ihren früheren Roman „Das Lavendelzimmer“ an – das Schiff mit der Literarischen Apotheke macht sich aus der Provence auf die Reise zurück nach Paris, der Apotheker und seine Crew begegnen auf dem Weg vielen neuen und alten Bekannten und sie müssen dabei ihren Weg durch verschiedene Irrungen und Wirrungen finden. Jedes Kapitel endet mit einem passenden Eintrag aus der Großen Enzyklopädie der kleinen Gefühle, dem Handbuch für Literarische Pharmazeut*innen.
Alles, wovon erzählt wird, ist schön. Sehr sehr schön. Man muss jeden einzelnen Charakter einfach sofort lieb gewinnen, wie in einem französischen Film haben sie alle ihre Ecken, Kanten und Spleens, aber alle sind herzensgut. Natürlich die altbekannten Protagonisten, aber auch die coole, emanzipierte Pauline, der kleine schicksalsgebeutelte Theo, die vierbeinige Merline, die so viel klüger ist als die Menschen (eine Reminiszenz an ihren Artverwandten aus „Was man von hier aus sehen kann“?), den linkischen Emile, der elegante Monsieur Bovary… Das Essen ist gut, die Getränke sind gut, das Wetter ist immer gut, wenn man es braucht. Die Beziehungen zwischen den Protagonisten sind gut, jeder ist verständnisvoll, geduldig, herzlich, offen, jeder kommt den Bedürfnissen des anderen zuvor und die Gespräche sind stets ausgefeilt und tiefgehend. Wenn Probleme auftauchen, weiß man, dass sie gelöst werden, was dann aber häufig hinter den Kulissen passiert, man erfährt nur die abschließende Erleichterung. Kurzum, purer literarischer Honig. Und so schön das ist, wenn man sich in so eine emotionale Zuckerwattewolke hineinfallen lassen kann, war es mir nach einer Weile dann doch immer zu viel, wenn alle Paarbeziehungen trotz existenzieller Fragen stehen wie tausendjährige Eichen, es keinen Zweifel am Ausgang der Geschichte gibt und am Ende auch wirklich für jede Figur ein Happy End gefunden wird. Andererseits macht es das Buch zu einem absoluten Feelgoodroman, für den ich vielleicht persönlich momentan nur zu desillusioniert bin.
Das ganze Buch ist außerdem wieder ein enthusiastisches, hingebungsvolles Hohelied an Literatur, Bücher und das Lesen. Wie in einer Sinfonie, in der das Thema in unendlichen Variationen wiederholt wird, wird die Liebe zum Lesen und die vielen Arten, auf die Bücher Unterhaltung, Rat, Trost, Gewissheit, einen Möglichkeitsraum und vieles andere spenden können, in jedem Kapitel und besonders in den Einträgen der Großen Enzyklopädie der kleinen Gefühle besungen. Natürlich gibt es für Lesende, die gerade keine*n Literarische Apotheker*in an der Hand haben, Vorschläge für geeigneten Lesestoff und auch eine Auswahl von Autoren.
Das Buch hinterlässt mich wehmütig, dass die Wirklichkeit nicht so schön ist, wie George sie malt, aber in der beruhigenden Gewissheit, dass man immer Bücher als treue Weggefährten haben wird. Insgesamt daher eine klare Leseempfehlung.
Disclaimer: Ich habe das Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Dies beeinflusst meine Rezension nicht.