Alles ist relativ

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Im November 1922 bekam Albert Einstein mit 43 Jahren den Nobelpreis für Physik. Obwohl er den Preis für seine Erklärung zum photoelektrischen Effekt erhielt, ist er bis heute berühmt für seine Relativitätstheorie bzw. für die bedeutende Formel: E = mc². Zu seinen Lebzeiten feierte man ihn wie einen Superstar und interessierte sich dementsprechend für sein ungewöhnliches Privatleben. Einstein war zweimal verheiratet. Mit seiner ersten Frau Mileva Maric hatte er zwei Söhne und eine Tochter, deren Existenz erst 1987 durch die Veröffentlichung von privaten Briefen bekannt wurde. Das Schicksal dieses Mädchens, Lieserl genannt, liegt bis heute im Dunkeln. Philip Sington versucht in “Das Einstein Mädchen” Licht in dieses Dunkel zu bringen.

 

Im Spätherbst 1932 wird in den Wäldern um Potsdam eine junge Frau gefunden. Halbtod und nur spärlich bekleidet wird sie in die Berliner Charité eingeliefert. Da sie sich an nichts erinnert und nur ein Programmheft zu einem Vortrag Albert Einsteins bei sich getragen hat, wird sie kurzerhand das Einstein Mädchen genannt. Weil sie überdies in der Nähe des Sommerhauses des berühmten Physikers aufgefunden wurde, beginnen sich Presse und Öffentlichkeit für den Fall zu interessieren. Der Psychiater Martin Kirsch versucht die rätselhafte Patientin vor dem dem aggressiven Rummel zu schützen und gleichzeitig ihr Geheimnis zu lüften.

 

Ein historischer Roman angesiedelt im Berlin der 1930er Jahre bietet eine Fülle von Themen die allein für sich Bücher füllen würden. Philip Sington nimmt die mysteriöse Geschichte der Einstein Tochter zum Anlass verschiedene Fäden zu spinnen. Da ist zum einen die Historie des Physikers selber. Seine Veröffentlichungen und Theorien werden ausführlich durch philosophiert. Wer die Physikstunden schon in der Schule unerträglich fand, wird sich auch durch diese zahlreichen Seiten nur schwer kämpfen. Für die Handlung sind die wissenschaftlichen Ergüsse nebensächlich. Sie stören den Lesefluss und sind daher eher ärgerlich als nützlich.

 

Das unbekannte Mädchen gibt dem Autor Gelegenheit den Ursprung von Rassenhygiene und Eugenik im dritten Reich aufzuzeigen. Sington beschreibt den Alltag in der neurologischen Abteilung der Charité. Die damaligen Behandlungsmethoden psychisch Kranker und die Einwirkung der Politik auf diese Verfahren durch die Machtübernahme der Nazis. Dieser Aspekt ist hochinteressant und enthält viele aufschlussreiche Details. Wermutstropfen hier ist die nüchterne Sprache des Autors, die in ihrer klinischen Sachlichkeit kein wirkliches Lesevergnügen aufkommen lässt.

 

Die Auswirkungen des ersten Weltkrieges auf den Held des Romans bilden einen dritten Schwerpunkt. Martin Kirsch, ist ein melancholischer Einzelgänger. Den Behandlungszweig der Psychiatrie hat er notgedrungen angenommen, weil er nach dem ersten Weltkrieg nicht weiter als Chirurg arbeiten konnte. Unkontrolliertes Händezittern und eine ansteckende Syphilis verhinderten dies. Von der schweren Geschlechtskrankheit, die er sich schuldlos zuzog, weiß niemand. Sein Verhalten gegenüber seiner Umwelt, vor allem seiner Verlobten Alma, wird massiv durch seine Krankheit beeinflusst, deren Symptome er nur schwer verbergen kann.

 

Für den Leser beinhalten die ausführlichen Schilderungen dieser Symptome allerdings einen zusätzlichen Nachteil. Durch Fieberschübe geplagt verschwimmen bei Kirsch Realität und Phantasie. Leider ist im Text nicht immer klar erkennbar, was real und was nur eingebildet ist.

 

Alles in allem ein eher enttäuschender Versuch einem ungelösten historischen Rätsel etwas Leben einzuhauchen. Die Frage um das Schicksal der Einstein Tochter klärt sich hier selbstverständlich nicht. Dafür setzt der Autor dem ganzen dann aber noch ein derart verworrenes Ende, das man sich als Leser ein wenig verschaukelt vorkommt. Und über der verlorenen Zeit den Kopf schüttelt. Was Einstein vielleicht mit der Bemerkung “Alles ist relativ” quittiert hätte!