Zwiespältig

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chaosbaerchen Avatar

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Das Rätsel um die mysteriöse Frau, die bewusstlos in der psychiatrischen Abteilung der Charité in Berlin bei Dr. Martin Kirsch landet, ist vielschichtiger, als man zunächst annimmt.

Martins Verlobte und Tochter eines Industriellen Alma Siegel, die in der Leseprobe noch eine dominierende Position einnimmt, verblasst zusehends und geht im allgemeinen Wirrwarr unter, auch wenn sie bis zum Ende eine gewisse Rolle spielt.

Kirsch nimmt sich seiner neuen Patientin intensiv an, nicht zuletzt weil er sie als die Frau erkennt, die sich einst Elisabeth nannte und in die er sich (heimlich) verliebt hat - die er in einem Tanzlokal sogar schon geküsst hat (dem ist in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wohl mehr Bedeutung zuzuschreiben als in unserer Zeit). Dass die Frau an Amnesie leidet, erschwert die Genesung sehr.

"Elisabeth" wird aufgrund ihres Fundortes in Potsam unweit des Sommerhauses von Albert Einstein von der Presse "Das Einstein-Mädchen" und "Patientin E." genannt. An dieser Stelle bekommt der Leser schon erste vage Hinweise auf eine mögliche Verbindung zu Albert Einstein, der zu dieser Zeit gerade mit seiner Quantentheorie berühmt wird, die die bisherige Wissenschaft und das Denken der Menschen ziemlich auf den Kopf stellt. Letztere wird in dem Roman ziemlich breit getreten und der unbedarfte Leser kann den Ausführungen teilweise nur mühsam folgen.

Der erste Weltkrieg hat unübersehbare Spuren hinterlassen, schon wegen der vielen Todesopfer, die er gefordert hat. Kirsch, der als Arzt an der Front gearbeitet hat, hat seinen jüngeren Bruder Max verloren. Dieser war ein fanatischer Einstein-Fan und sein letztes Geschenk an Martin war ein Buch, dass Einsteins Theorie allgemeinverständlich beschrieb. Womit erneut eine Verbindung hergestellt wurde, nämlich zwischen Kirsch und Einstein.

Martin Kirsch hat sich im Krieg Syphilis geholt, was wohl damals keine Seltenheit war. Gerade als Arzt hatten man andere Sorgen als sich vor Infektionskrankheiten zu schützen, die nicht unmittelbar tödlich waren. Die Krankheit schritt bei ihm allerdings immer weiter fort und das zunehmende Zittern zwang ihn, sein Fach zu wechseln. So landete er in der Psychiatrischen Abteilung der Charité.

Wie schon erwähnt verbringt Martin Kirsch sehr viel Zeit mit dem "Einstein-Mädchen", die sich an kaum etwas erinnert, schon gar nicht an ihn. Im Krankenhaus bekommt sie mit ihrer Zustimmung den Namen Maria. Kirsch versucht alles mögliche, um ihren Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Letztlich bringt er sie dazu, zu zeichnen. Sie zeichnet fortan Porträts, anfangs von bis dato unbekannten Männern, später von Kirsch und Krankenhauspersonal. Wirklich weiter kommt Kirsch damit nicht und die entscheidenden Erinnerungen bleiben weiterhin verschollen.

Durch Zufall findet Kirsch, der akribisch weiter im Leben seiner Patientin schnüffelt, ein Notizbuch mit mathematischen Formeln, die er an Fachleute weitergibt. Er bekommt dadurch wieder einen Hinweis auf die Verbindung zu Einstein und verfolgt die Spur weiter.

Zeitgleich dazu schreitet einerseits seine Syphilis unaufhaltsam fort und zeigt sich durch Fieberanfälle, dunkle Flecken am Körper, Schlaflosigkeit und am Ende Halluzinationen und Wahnvorstellungen, was ihn aber nicht davon abhält, wie ein Besessener an seinem Fall weiterzuarbeiten, was auch seinem Kollegen und Freund Robert Eisner auffällt, der aus Neid und Missgunst versucht, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Andererseits kommt Hitler als Reichskanzler an die Macht und die "Volkshygiene" wird zu einem Thema.

Dann führt eine Spur in die Schweiz zu Mileva, Einsteins erster Frau, und Eduard, dem Sohn aus dieser Ehe, der Maria persönlich zu kennen scheint. Hier beginnt die Geschichte ein bisschen schwierig zu werden, weil Eduard in der Schweiz in psychiatrischer Behandlung ist und man als Leser nicht mehr weiß, was Realität und was Traum und Irrsinn ist. Dass die Rahmenhandlung aus den Federn genau dieses Eduards stammt und Kirsch zunehmend an Halluzinationen leidet, macht es nicht gerade einfacher.

Durch eingestreute Briefe wird das Leben der gebürtigen Serbin Elisabeth/Maria/Marija nach und nach aufgedeckt und das anfängliche Rätsel schließlich gelöst.

Die Leseprobe fand ich sehr vielversprechend und geheimnisvoll, das Buch insgesamt zwar spannend und interessant, aber am Ende doch sehr verwirrend. Auch das historische Nachwort stellt die Existenz von Elisabeth/Marija als diejenige, die im Buch so klar charakterisiert wird, wieder in Frage.

Was soll man glauben und was nicht?