Applaus für jede einzelne Episode

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mariederkrehm Avatar

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Kann uns ein 65-jähriger englischer Postbote, der den Kontakt zu anderen Menschen scheut wie ein Kaninchen den Fuchs, kann der uns mit seiner Geschichte so begeistern, dass sie zur Wohlfühllektüre des Jahres avanciert? Ja, unbedingt. George Bailey, Scrooge und sogar der Kleine Lord müssen sich warm anziehen, denn Albert Entwistle stiehlt ihnen allen die Show.

Ganz zaghaft und mit viel gebührlichem Respekt vor dem zurückgezogen lebenden Albert nimmt uns Autor Matt Cain mit nach Toddington, wo unser Postbote jeden Tag die gleiche Runde dreht. Bis, ja bis ihm in kurzem Abstand drei verstörende Dinge passieren: Albert erhält selbst Post, denn er soll in drei Monaten pensioniert werden. Seine Katze stirbt (Taschentuch bereithalten). Und im Schlafzimmer seiner verstorbenen Mutter findet er eine Schachtel mit Briefen, die ihn an lange verdrängte Ereignisse aus seiner Jugend erinnern. Wie ein Erdbeben zieht ihm das alles die Beine weg. Eigentlich hat er nichts mehr zu verlieren.

Albert ist schwul, das kriegen wir schnell mit, aber keiner weiß es. Scheint auch nicht nötig zu sein, denn Albert hat ja keine Beziehung und will auch keine haben. In kurzen Rückblenden erfahren wir, dass er traumatische Dinge erlebt hat, für die er glaubt, zeit seines Lebens gebüßt zu haben.

Doch Albert fängt an zu kämpfen. Um sein Glück und noch mehr um sich selbst. Und er gönnt sich den Luxus, Hoffnung zu haben. Das geht alles ganz langsam, und der Autor kostet mit uns jede Episode aus. Der kleinste Erfolg lässt uns innerlich applaudieren und man möchte gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil Albert sich immer mehr traut und wir Zeugen davon werden, wie ihn Selbstverständlichkeiten, die er sich ein Leben lang versagt hat, jedes Mal unendlich glücklich machen.

Volle Punktzahl für diesen gelungenen Aufbruch in ein verspätetes Lebensabenteuer.