Wenn der Postmann sich nicht traut zu klingeln

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justm. Avatar

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Albert Entwistle ist mit Leib und Seele Briefträger. Beinahe sein ganzes Leben stellt er schon Briefe und Päckchen in dem kleinen englischen Städtchen Toddington zu und kennt im Grunde jeden auf seiner Zustellrunde, aber näher an sich ranlassen, möchte Albert die Menschen nicht. Viel mehr hat er das Gefühl, das gar nicht mehr zu können. Menschen machen ihm Angst. Und es scheint, als hätte er sich mit dem Alleinsein und der Einsamkeit abgefunden. Als er aber plötzlich vor der Zwangspensionierung steht, wird ihm klar, daß er etwas in seinem Leben ändern muß.


Auf 430 Seiten erzählt Matt Cain mit viel Herz und Gefühl, sowohl die Geschichte vom einsamen Briefträger, dem viel zu spät bewusst wird, daß es sich nicht lohnt, nur um nicht "anzuecken", sein "wahres ich" zu verstecken, als auch die Geschichte einer jungen, alleinerziehenden Mutter, die Albert ganz unverhofft zur Seite steht.

Es ist die Geschichte eines späten Coming Outs und gleichzeitig die einer großen, (wenn auch tragischen) Liebe. Einer Liebe, die, so hofft Albert (und man als Leser*in mit ihm), vielleicht wieder aufleben kann. Nur dazu muß die Liebe von einst erst einmal wiedergefunden werden.
Und so begibt man sich mit Albert zusammen auf die Suche, auf eine Reise in die Vergangenheit, während er gleichzeitig versucht seine Gegenwart positiver zu gestalten. Alles in der Hoffnung auf eine bessere, eine freiere Zukunft.

Als Leser fühlt man sich Albert schon nach wenigen Seiten sehr verbunden und auch der Großteil der anderen Figuren wird so lebensnah gezeichnet, daß zu keiner Zeit beim Lesen Langweile aufkommt. Vielmehr ist dies eines der wenigen Bücher der letzten Zeit, die ich kaum aus der Hand legen konnte.

Wer, wie ich, nahe am Wasser gebaut ist, wird auf jeden Fall das eine oder andere Taschentuch beim Lesen benötigen, sich aber ansonsten (hoffentlich) gut unterhalten fühlen. (Auch wenn der Autor an der ein oder anderen Stelle ein wenig dick aufgetragen hat, aber darüber hab ich gern hinweggesehen.)

"Das geheime Leben des Albert Entwistle" ist ein Buch für Alle, die einen (wenn auch) kleinen Ausflug in die queere Geschichte Englands machen möchten, vor allem aber für all diejenigen, die einfach nur gute Geschichten mögen!