Wichtige Fragen, leicht verpackt

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Bei einem Titel wie „Das geheime Leben des Albert Entwistle“ kann so manche Geschichte rausspringen, hier ist es eine ganz besondere …

Albert Entwistle ist Briefträger in einem kleinen englischen Städtchen – nicht gerade der optimale Beruf für jemanden, der Kontakte zu Menschen nur in homöopathischen Dosen erträgt. Doch er kommt klar – bis sein mühsam durchgeplantes Leben aus den Fugen gerät, weil er pensioniert werden soll und seine Katze stirbt. Extreme Situationen erfordern extreme Reaktionen, also überwindet Albert seine Menschenscheu und beginnt, Freundschaften zu schließen. Freundschaften, die ihn sogar seine Jugendliebe suchen lassen …

Uff, wo fängt man nun an, zu berichten, was während bzw. kurz nach der Lektüre in einem vorgeht? Vielleicht damit: Matt Cain hat ein „leises Buch“ geschrieben – wo andere marktschreierisch um Aufmerksamkeit buhlen, ist dieses Buch ruhig und wird ganz von den Figuren und ihrer langsamen Öffnung getragen. Klar dürfte sein, dass es um Ängste, Hoffnung, Einsamkeit geht, aber auch die Kraft, die man aus Freundschaften ziehen kann, dass es kein „zu spät“ im Leben gibt, es geht um Mut … Mut, zu sich zu stehen, Ängste zu überwinden und um Liebe, und zwar gleichgeschlechtliche. Matt Cain erzählt behutsam von seinem Protagonisten Albert, dem spät klar wird, dass er sich selbst verleugnet hat, nur um Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Ihm zur Seite stellt er eine junge alleinerziehende Mutter. Ob Albert mit seinen Bemühungen Erfolg hat, sei hier nicht verraten, so viel nur: Das ist eigentlich auch gar nicht wichtig, denn es geht um den Weg zu sich selbst – was gerade heute, wo viele Menschen mehr damit beschäftigt sind, sich auf diversen Kanälen „darzustellen“ als zu sein, eine wirklich wichtige Botschaft ist. Man wünscht Albert und seinen Freunden alles nur erdenklich Gute und begleitet ihn bei seiner Suche – und das tut man gern, denn Albert ist ein so netter Kerl. Dabei sitzt Cain nicht der Gefahr auf, übermäßig kitschig-rührselig zu werden (jaaa, es gibt traurige Stellen und jaaa, manchmal übertreibt er ein wenig), nein, da zieht sich auch ein leicht lakonischer Ton mit einer Prise britischen Humors durch die Seiten (was mir ausnehmend gut gefällt), sodass man nach mehr als 400 Seiten kaum gemerkt hat, wie schnell die Zeit verging. Das ist eine dieser Geschichten, die die großen Fragen aufwerfen: Was würde man am Ende seines Lebens mehr bedauern – es versucht zu haben oder es nicht versucht zu haben? Was macht einen authentischen Menschen aus? Wichtige Fragen, leicht verpackt – lesenswert.