Wohlfühlroman über einen schwulen Postboten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
schneeglöckchen_gk Avatar

Von

Matt Cain erzählt in seinem neuen Roman die Geschichte von Albert Entwistle, einem Postboten, dessen Leben sich, ausgehend von äußeren Umständen und einer darauffolgenden innerlichen Charakterveränderung, sehr stark wandelt.
Zu Beginn tut Albert alles, um anderen Menschen aus dem Weg zu gehen und lebt sehr zurückgezogen mit seiner Katze. Da man als Leser von Beginn an Einblicke in seine Gedanken und seine Gefühlswelt bekommt, findet man schnell einen Zugang zu dieser Hauptfigur, auch wenn er nach außen hin sicherlich eher ruppig und abweisend wirken muss. Nach der Leseprobe war bereits klar, dass hinter der abweisenden Fassade eine andere Person schlummert und nach einigen einschneidenden Ereignissen wird man Zeuge der beginnenden Veränderung bei Albert. Beispielhaft für die äußeren Einflüsse seien hier die Nachricht über die bevorstehende Pensionierung, die Weihnachtsfeier und der Einzug eines homosexuellen Paares in der Stadt genannt. Besonders intensiv und emotional fand ich den Tod seiner Katze Gracie und wie deutlich die Erkenntnis seiner Einsamkeit ihn trifft. Sehr direkt und stark formuliert. Daraufhin verändert sich Alberts Sicht auf die Welt und er beginnt sich langsam zu öffnen. Auf diesem Weg knüpft er neue Freundschaften und erlebt viele positive Momente, die ihn in seiner Suche nach seiner Jugendliebe George bestärken.

Neben der Perspektive von Albert gibt es auch Kapitel, deren Fokus auf Nicole, einer jungen Mutter, liegt. Dies führt dazu, dass sich, während man langsam mehr über Alberts Liebesgeschichte in der Vergangenheit erfährt, parallel dazu die Lovestory zwischen Nicole und Jamie in der Gegenwart entwickelt.
Charakteristisch für diesen Roman sind ständige Bezüge in die Vergangenheit, die als vage Andeutungen daherkommen. Häufig gibt es mehrere solcher Andeutungen, bevor es eine Auflösung gibt, was damals tatsächlich geschehen ist. Dies könnte von ungeduldigen Lesern als nervig empfunden werden. Umso besser hat mir aber die Suche nach George gefallen, da man hier den einzelnen Hinweisen gemeinsam mit Albert sehr schön schrittweise folgen kann.
Auch wenn es eine ganze Weile dauert bis Albert vor sich selbst, aber auch vor anderen, seine Homosexualität als solche benennt, spielt sie doch eine tragende Rolle im Buch. Viele negative Erfahrungen haben ihn soweit geprägt, dass er sein Schwulsein verleugnet und erst nach und nach lernt offen damit umzugehen. Dadurch war es mir als Leserin möglich, viel über die Historie und den Umgang mit Homosexuellen in Großbritannien zu lernen. Während Alberts Transformation hat man außerdem interessante Einblicke in die Schwulen-Szene und die verschiedenen Rollen/Typen von Männern erfahren. Dieser Lerneffekt ist mir erst hinterher wirklich bewusst geworden, da es während der Lektüre ganz nebenbei passiert ist, was ich sehr angenehm fand.

Der Erzählstil des Autors ist sehr lebendig, der Text enthält viele Dialoge und häufig werden stille Gedanken in kursiver Schrift als Stilmittel verwendet. Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten mit der Sprache, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das an der Übersetzung (aus dem Englischen von Marie Rahn) lag oder am Schreibstil generell. Jedenfalls hat sich dieses Gefühl von Unstimmigkeit mit der Zeit verloren. Insgesamt hat mir das Buch zum Ende hin immer besser gefallen, eine geringe Steigerung im oberen Bereich, da es bereits von Anfang an toll zu lesen war. Die Kapitel haben eine sehr angenehme Länge. Etwas holprig waren die Rückblenden, in denen von der Zeit mit George berichtet wird. Denn sie sind (obwohl sie in der Vergangenheit liegen) im Präsens geschrieben, während die restlichen Episoden des Romans im Präteritum verfasst sind. Über diesen Zeitenwechsel bin ich sehr oft gestolpert.
Das Cover dieses Taschenbuchs ist sehr schön gestaltet. Durch die glänzenden Highlights wirkt es sehr lebendig und die Illustrationen spiegeln den Inhalt gut wider. Entgegen der Abbildung im Internet war ich von der Optik und Haptik in echt positiv überrascht.

Zusammenfassend ist dieser Roman für all diejenigen eine klare Empfehlung, die sich eine leichte Wohlfühllektüre wünschen. Albert Entwistles Geschichte kommt mit viel weichgezeichneter Idylle, liebenswerten Charakteren aus dem alltäglichen Leben und einer großen Portion Gay Pride daher und bietet genau das. Auch wenn im Klappentext bereits recht viel des Inhalts beschrieben wird, macht es trotzdem Spaß das Buch zu lesen und es wird bis zum Schluss aufgrund des Ereignisreichtums nicht langweilig.