Das Geheimnis des weissen Bandes

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bovary Avatar

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Ende November 1890 kehrt Dr. John Watson als vorübergehender Strohwitwer wieder in die Baker Street 221b zurück, wo ihn Sherlock Holmes wieder einmal mehr mit seinen deduktiven Fähigkeiten in Erstaunen versetzt. Bald taucht auch schon ein Klient in der Baker Street 221b auf, den Mrs. Hudson, wie immer, ankündigt. Dieser Mann, ein Galerist aus Wimledon, beschert Sherlock Holmes wohl den sensationellsten und womöglich auch abscheulichsten Fall seiner ganzen Karriere. Ein Fall, der seine Fäden sogar in solche illustre und gesellschaftlich hohen Kreise wirft, dass Watson ihn erst 25 Jahre später, zu Beginn des 1. Weltkrieges - als Sherlock Holmes (so wie es aussieht) schon gestorben war und die meisten involvierten Personen wahrscheinlich auch - wagt aufzuschreiben. Der Fall um das "House of Silk"....

Anthony Horowitz hat wahrscheinlich das geschafft, was keiner vor ihm wirklich erreicht hat. Einen Roman über Sherlock Holmes zu schreiben, der ein würdiger Nachfolger zu den Erzählungen und Romanen ist, welche der Sherlock Holmes Erfinder Arthur Conan Doyle der Nachwelt hinterlassen hat.

Horowitz beschreibt Sherlock Holmes weder als Haudegen noch als quasi Superman etc (vielleicht mal abgesehen in der Szene mit der Verfolgungsjagd). Horowitz stellt ihn so dar, wie Doyle es getan hat. Ein Holmes, welcher überwältigt werden kann - ihm wird in einer Szene eine Droge eingeflösst - und sogar inhaftiert wird. Er zeigt sogar Gefühle (ich habe ihn auch in Doyles Erzählungen eigentlich nie so gefühllos empfunden, wie häufig suggeriert wird). Auch der Ablauf der Erzählung ist eigentlich typisch nach Doyle. Die Geschichte beginnt - nach einem Vorwort - in den Räumlichkeiten der Baker Street 221b und spinnt den roten Faden zu den einzelnen Personen und Orten, welche für den Fall eine Rolle spielen. Es gibt leichten Humor, Mordfälle - darunter einen besonders grausamen Kindsmord - Intrigen, geheimnisvolle Personen und eine Verfolgungsjagd mit Kutschen. Und das eigentliche Thema des Falles ist auch in der heutigen Zeit noch von erheblicher Brisanz, wenn nicht noch brisanter.

Man trifft neben Holmes und Dr. Watson auch auf alte Bekannte: Natürlich einmal Mrs. Hudson, über die Watson einmal schreibt, dass er sie eigentlich gar nicht richtig kannte und als einfach "vorhanden" ansieht (was natürlich eher die Gedanken von Horowitz sind), Mycroft Holmes (war mir nie aufgefallen, dass er von eher dicklicher Statur ist!) und sein Diogenes Club, die Baker Street Irregulären (Baker Street Boys, welche den Fall sozusagen ins Rollen bringen, da einer von Ihnen eine wichtige Rolle hat), Inspektor Lestrade und womöglich sogar Professor James Moriarty (nur eine Vermutung, auch weil Horowitz einen Anachronismus reingeschrieben hat oder die Übersetzung ist an einer Stelle falsch).

Horowitz muss den Holmes Kanon sehr gut kennen, da er auch immer wieder Fälle und Ereignisse anspricht, welche man aus Doyles Geschichten kennt. Obwohl ich mich manchmal gefragt habe, ob ein paar der angedeuteten Geschichten nicht erst nach 1890 stattgefunden haben (Anachronismen?)

Mann muss den Holmes Kanon aber wirklich nicht kennen, um sich in die Geschichte hineinzufinden. Horowitz erzählt viel darüber, wie die Freundschaft zwischen Holmes und Dr. Watson angefangen hat und wie sie mehr oder weniger aufgebaut ist. Vor allem erfährt der Leser viel über Watsons Empfindungen, da die Geschichte ja aus seiner Sicht erzählt wird.

Fazit: Wenn man eine wirkliche Sherlock Holmes Geschichte lesen will, welche nicht von Arthur Conan Doyle geschrieben wurde, gibt es nur ein Buch, welches man lesen muss: Anthony Horowitz' "Das Geheimnis des weissen Bandes". Und was auch noch ein Vorteil dieses Romans ist: Man will unbedingt Arthur Conan Doyles Geschichten entweder wieder lesen oder zum ersten Mal in die Hand nehmen. Wenn ein Buch so etwas schafft, kann es doch nur gut sein.