Watson erzählt wieder

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suse9 Avatar

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Auf eine kurze Inhaltswiedergabe möchte ich verzichten, da sie bei einem Sherlock Holmes schon zu viel verraten würde und hier auch nicht notwendig ist. Entweder will man einen neuen Fall mit dem Meisterdetektiv lösen oder nicht.
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Jeder Autor hat seine eigene Art und Weise, an eine Geschichte heranzugehen, diese aufzuschreiben und dem Leser gegenüberzutreten. Den Stil von Horowitz kannte ich bisher noch nicht, jedoch las ich erstaunt, dass er einen neuen Sherlock-Holmes-Roman geschrieben haben will. Gerade diese Figur ist, ob aus Büchern oder Filmen, jedem bestens bekannt. Diesen berühmten Charakter eines anderen Autoren weiterleben zu lassen und seine Geschichte fortzuführen, finde ich mutig aber auch sehr gewagt. Ob Horowitz dieses Experiment gelungen ist, wollte ich unbedingt herausfinden.
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Gemeinsam mit Holmes und Watson ging ich also dem Geheimnis des weißen Bandes nach und begab mich ins alte London mit seinen nebligen Gassen, dunklen Gestalten, Intrigen und Lügen. Außerordentlich erfreut las ich die ersten Seiten des Prologes, in denen uns Watson erklärt, warum gerade zum jetzigen Zeitpunkt und nicht früher, diese Geschichte erzählt wird. Dabei nimmt der Autor den Stil Doyles auf und ich wusste wieder, was ich an der Erzählweise der alten Storys so geliebt habe. Schnell verlor ich mich in den Seiten und fand mich in der Baker Street 221b wieder. Zusammen mit Holmes und Watson begrüßte ich den gutgekleideten Herren, der sein Problem schilderte. Ich hörte interessiert zu, wie er darüber berichtete, dass er sich beobachtet und bedroht fühlt. Eifrig schrieb ich in Gedanken einige Notizen nieder, um auch ja nichts zu verpassen. Denn jedes Detail ist wichtig, wenn man mit Holmes mithalten will.
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Bereits jetzt war mir klar, dass es Horowitz gelungen ist, die Stimmung einzufangen und den Leser zu fesseln. Auch wenn er den von mir so geliebten „alten“ Schreibstil im Laufe des Romans für eine moderne Erzählweise aufgibt, verliert die Geschichte jedoch nicht an Spannung. Der Leser entlarvt Lügen, deckt Geheimnisse auf und entwirrt Intrigen, bevor diese sich ihm wieder entziehen und von neuem aufgeklärt werden müssen. Das Lesen dieses Romans bereitete viel Freude und ich denke, dass jeder Fan einige vergnügliche Stunden auf dem Krimisofa haben wird. Positiv erwähnen möchte ich noch die Aufmachung des Buches. Qualität und Geschmack gehen Hand in Hand.
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Hier wäre meine Rezension zu Ende, wenn „Das Geheimnis des weißen Bandes“ ein ganz normaler Krimi wäre. Da das Buch aber als „neuer Sherlock-Holmes-Roman“ beworben wird, muss man es ganz einfach auch mit einem solchen vergleichen dürfen und hier möchte ich einige Dinge kritisch erwähnen. Wie bereits genannt, fand ich es schade, dass sich der anfangs wunderbar alte Schreibstil im Weiteren verlor. Auch einige eingebaute Actionszenen fand ich – vermutlich der heutigen Zeit geschuldet – ein bisschen überzogen. Etwas gestört hat mich ebenfalls, dass Watson zu blass blieb. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass Horowitz sich Holmes so hingeschrieben hat, wie er ihn gerne sehen würde. Er kommt sympathisch und gefühlvoll daher, ich jedoch hatte ihn als egozentrisch, teilweise anstrengenden Menschen kennen- und lieben gelernt.
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Aber all diese Punkte schmälern die Qualität des Krimis nicht und eine Leseempfehlung spreche ich gerne aus. Ob Horowitz dem Vergleich mit Doyle standhält oder ob dieser überhaupt gerechtfertigt ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.