Kein Mensch ist eine Autorität

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Das Hörbuch zu „Das Gewicht der Worte“ ist lang, aber es lohnt sich, alle 1341 Minuten zuzuhören. So viel vorab, denn es ist weder leicht, das Buch zusammenzufassen, noch, das Buch zu rezensieren. Erzählt wird von Simon Leyland, einem Engländer, der aus der Schule in Oxford weglief, um in einem Londoner Hotel als Nachtportier zu arbeiten. Als Junge hatte er, vor einer Landkarte stehend, beschlossen, alle Sprachen des Mittelmeerraums zu lernen, auch die kleinsten und seltensten Idiome wie Maltesisch, und mit Talent und Hingabe dieses Ziel verfolgt. Durch Zufall wird er während seiner Arbeit als Nachtportier gebeten, die Übersetzung eines Kinderbuchs anzufertigen – eine Aufgabe, die er mit Bravour erledigt, woraufhin er erste Aufträge als Übersetzer erhält und sich schließlich in diesem Metier etablieren kann. Die Geschichte dieses sprachbegeisterten Mannes, seine Ehe mit der italienischen Journalistin und später Verlegerin Livia, die ihn schließlich seinen Lebensmittelpunkt nach Triest verlagern lässt sowie seine vielfältigen Begegnungen mit Menschen, für die Sprache und Gerechtigkeit eine gewichtige Rolle spielen, sind Inhalt des Romans. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist aber ein Hirntumor, der Leyland fälschlicherweise diagnostiziert wird und der ihn für elf Wochen sein Leben infrage stellen und abschließend ordnen lässt. Als sich später herausstellt, dass Patientendaten verwechselt wurden und er gar nicht erkrankt ist, hat er bereits den Boden für einen Neuanfang bereitet, indem er den Abschied vorbereitet hatte. Dieser Neuanfang führt ihn zurück nach London, wo ihm ein Haus als Erbschaft zufällt, und gibt ihm Gelegenheit zu Reflexion.

Diese Reflexion und die darin berührten Themenbereiche sind die zweite Erzählebene des Romans. Verhandelt wird unter anderem die Frage des Todes und in welcher Form eine Person in anderen weiterleben kann. Wiederkehrend ist ebenso die Frage, ob es eine richtige Handlung geben kann, die vor dem Gesetz illegal ist. Hier dient ein Londoner Nachbar als Beispiel, der verschreibungspflichtige Medikamente an bedürftige Personen ausgegeben hat. Die Eindeutigkeit von Schuld wird in verschiedenen Konstellationen beleuchtet, indem Gerichtsverfahren geschildert werden, in denen die Verurteilten neben ihrer Tat immer auch ethisch richtige Entscheidungen zu treffen scheinen. Das wichtigste und übergreifende Thema ist jedoch das der Bedeutung von Sprache und Wörtern. Wie Wörter Begegnungen stiften, wie man seine eigene Identität in Wörtern darlegen kann, wie Wörter in der einen Sprache Stimmungen besser transportieren können als in einer anderen, sind Fragen, die wiederkehrend und in unterschiedlichsten Dialogen und Konstellationen neu gestellt und beantwortet werden. Sie laden ein, auch für sich selbst nicht nur über die Liebe zu Büchern und Literatur, sondern zu Sprache und Wörtern und nicht zuletzt die Verbindungen, die von einem selbst gesprochene und geschriebene Wörter herstellen können, zu reflektieren.

„Das Gewicht der Worte“ ist nicht nur wegen der Länge, sondern teils auch wegen der Detailliertheit der Betrachtungen und Überlegungen herausfordernd. Es lohnt aber, sich den Gedanken hinzugeben und der Raum, der im wörtlichen Sinne in den gelehrten und literarischen Häusern und Wohnungen geschaffen wird, gibt einem einen angenehmen Aufenthaltsort für diese Überlegungen.

Zuletzt noch eine kleine Bemerkung zum Format Hörspiel. Die Sprecherstimme von Markus Hoffmann ist klar und weich, passt damit gut zum Thema und trägt über die gesamte Zeit. Deutlich schwächer als die deutsche Aussprache ist leider die der fremdsprachlichen Begriffe und Wendungen, die durch die im Buch verwendete Idiomvielfalt sicherlich eine Herausforderung sind, aber eben bedauerlicherweise nicht ganz gelingen. Beim britischen Englisch und beispielweise der Ansage in der Londoner U-Bahn dürfte das den meisten Hörer/innen auffallen.