schade...

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Die Stärken dieses Buches sind der tolle Plot und die Form, in welcher die Geschichte erzählt wird. Das Buch besteht nahezu ausschließlich aus Briefen, die die diversen Charaktere schreiben, lesen und beantworten.
Alleine diese beiden „Zutaten“ sorgen dafür, dass sich ein gewisser Sog beim Leser entwickelt; man möchte einfach immer weiterlesen. Was steht im nächsten Brief? Wer schreibt ihn an wen, was ist der Inhalt des Briefes? Was erfährt man über das geheimnisvolle Manuskript, welches im Mittelpunkt des Romans steht? Die Länge der einzelnen Briefe von maximal 3-4- Buchseiten trägt zusätzlich zur Dynamik der Geschichte bei.

Sehr schade ist, dass das Buch vor Übertreibungen nur so strotzt. Die Charaktere agieren übertrieben und unrealistisch. Zudem reihen sich Zufälle an Zufälle. Natürlich ist das keine Seltenheit; der Plot sollte nicht an ‚Geschwindigekit‘ verlieren - aber zu viel ist zu viel.

Alleine schon die Postskripta, ohne die offenbar kein einziger Brief auskommt. Das ist zunächst interessant – aber zu viel ist zu viel.

Auch die Sprache, in der die einzelnen Briefe geschrieben sind, wirkt auf mich sehr künstlich. Weder Sprache, noch Wortwahl, noch Stil der einzelnen Briefeschreiber scheinen sich nennenswert voneinander zu unterscheiden. Hierdurch wirken die Briefe im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzt. Dazu die jeweiligen Grußformeln der Mails (zumindest die von Anne-Lise, dem Hauptcharakter und ihrer besten Freundin Maggy) sind in erster Linie albern, kindisch und übertrieben. Auch hier wäre weniger mehr gewesen.

Im Verlauf des Buches konnte ich Anne-Lise (aus meiner Sicht der Hauptcharakter des Romans), immer weniger leiden. Mitunter habe ich ihr Handeln als eine Form von Übergriffigkeit auf emotionaler Ebene empfunden. Sie nennt Menschen ihre Freunde, die sie gar nicht kennt, außer dass sie mit ihnen einige Briefe gewechselt hat. Sie setzt wie selbstverständlich das Einverständnis von Menschen voraus, die sie nicht kennen. Auch hier: Einfach zu viel.
Anne-Lise merkt gar nicht, dass sie sich fast schamlos in Familiengeschichten einmischt und nimmt für sich in Anspruch nimmt, jeweils zu wissen, was das Beste für alle anderen Mitmenschen ist. Für sich genommen ist das nicht weiter schlimm. Aber ich befürchte, dass es selbst der Autorin nicht bewusst ist.

Das Manuskript, um das sich im Buch alles dreht, wird m.E. zu überhöht dargestellt. Reicht es nicht aus, dass ein Buch den meisten seiner Leser etwas bedeutet, sie tief gerührt hat und ein ganz besonderes Buch in ihrem Leben ist? Offenbar nicht, denn es geht so weit, dass das Manuskript Krankheiten heilt. Erneut zu viel…

Auch wenn diese Rezension an der ein oder anderen Stelle wie ein Verriss wirkt, soll es das auf keinen Fall sein. Ich habe großen Respekt vor der Leistung, ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Das Buch ist spannend, lässt sich sehr gut lesen und hat grds. einen tollen Plot. Gleichwohl führen die Übertreibungen der Autorin dazu, dass ich das Buch letztlich nicht sehr gut bewerten kann, das wäre nicht in Ordnung. Und das finde ich sehr schade, da die Idee des Buches genial ist.
Ich gehe davon aus, dass bei der Entscheidung, das Buch in Deutschland zu veröffentlichen weniger die eigentliche Qualität als vielmehr die Tatsache, dass das Buch in Frankreich ein Bestseller war, ausschlaggebend war. Es scheint hierbei ein wenig hektisch zugegangen zu sein; bei der Gestaltung des Umschlages wird statt von der Bretagne von der Normandie gesprochen. Aber dafür kann weder die Autorin noch das Buch selbst etwas.

Schade.