Melancholisch und weise

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alasca Avatar

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Als die unscheinbare Klavierstimmerin Suzanne Serge begegnet, „… hatten beide…“ schon sehr lange „…nichts anderes getan, als auf schmalen Holzbrettern über den Sumpf zu laufen.“ Dabei bemerken sie sich bei ihrer ersten Begegnung gar nicht; erst, als Serge Suzanne zufällig eines Abends allein auf der Tanzfläche einer Bar sieht, springt der Funke über. Er ist fasziniert von ihrer offensichtlichen Lebenskraft und der Erkenntnis, dass „…, der Tanz (…) nur einen Bruchteil ihres Lichts herausgelassen“ hat. Er folgt ihr nach Hause – und Suzanne lässt sich wider jede Vernunft auf ihn ein, denn auch ihr Leben, ihre Ehe stagniert in bequemen Gewohnheiten, ohne Leidenschaft.

Serge hat bis dahin ein Hochglanzleben geführt, an dessen glatter Oberfläche alles abperlt. Er hat zwei Kinder und eine schöne Frau, die seine Tochter sein könnte. Einziges Indiz auf die Existenz von Unterströmungen ist eine Augenmigräne, die ihn häufig mattsetzt. Suzannes Kräfte schlummern; sie ist eine Frau, die sich allzu nüchtern nicht zu träumen erlaubte und allzu früh mit dem zufrieden gab, was ihr erreichbar erschien.

Serge will an Suzannes Kraft genesen. Sie lässt ihn zunächst gewähren, bis sie erkennt, dass er im Begriff ist, sie genauso in seine Lebenslüge hineinzuziehen wie seine Frau. So konfrontiert sie ihn, denn „Was nicht gesagt wird, stirbt.“ Ermutigt durch ihre Furchtlosigkeit wagt er es, sich ihr – und vor allem sich selbst – ganz zu zeigen. Sein Blick nach innen bringt lange geleugnete Wahrheiten zutage, deren destruktive Kraft die glänzende Oberfläche bersten lässt. „Was wir taten, um glücklich zu werden“ (Originaltitel) hat weder für Serge noch für Suzanne zum Ziel geführt. Am Ende stehen zwei zerbrochene Ehen und die Erkenntnis, dass kein anderer Mensch die Macht hat, uns glücklich zu machen, nur wir selbst.

Es ist eine melancholische Welt, in die die Autorin uns eintauchen lässt. Der Roman liest sich trotz des ernsten Themas mühelos; sein Erzählton, seine Stimmung ist angenehm gedämpft und passt zu ihrem atmosphärischen Setting des Paris des 18. Arondissements mit seinen vornehmen Grautönen. Die Erzählperspektive wechselt zwischen Suzanne (Ich-Perspektive) und Serge (personale Perspektive) und ist nah dran an den Figuren. Olmis Charaktere mit ihren Brüchen, Untiefen und Abgründen sind überzeugend gezeichnet bis in die Nebenfiguren. Die Sprache der Autorin ist klar und genau; sie ist eine kühle, fast nüchterne Beobachterin, deren Romantik ohne Weichzeichner auskommt. Olmi schreibt über die Liebe, doch dieses Buch ist kein Liebesroman. Weder Suzanne noch Serge haben am Ende „das Glück“ gefunden, aber sie sind ein Stück wahrhaftiger geworden.

In unserer Zeit mit ihrem „Recht auf Glück“ und dem steten, fast obsessiven Glücksstreben kann Olmis Roman dazu anregen, das eigene Glücksverständnis, vielleicht sogar die eigene Wahrhaftigkeit zu hinterfragen.

Ein nachdenkliches, ein weises Buch.