Ein junger König ...

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martinabade Avatar

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Das hätte auch schief gehen können. Ganz ehrlich.

Man erinnere sich – Thomas Glavinic, „Das bin doch ich“, ein ebenfalls österreichischer Versuch dieser Erzählperspektive.

Geiger ist ein Fleißiger, wir alle haben bereits etliche seiner Bücher und Texte auf dem Regal und in der Seele. Nun kommt etwas Neues. Was? Eine Autobiographie? Biographical Fiction? Ein „Coming-of-Artist“-Roman? Ein „armer Poet“ der Gegenwart?

Die Leserin, der Leser lernt den Autor, das Alter Ego des Autors kennen. Der junge Mann hat seine Studien abgeschlossen, lebt in Wien in einer Ein-Zimmer-Wohnung, arbeitet an seiner schriftstellerischen Karriere und geht ein oder mehrfach in der Woche containern. Doch weder bräunliche Bananen, noch angeditschte Äpfel noch abgelaufene Nudeln landen in seinem Rucksack. Er sammelt Bücher, Tagebücher, Zeitschriften, Zeitungen, Briefe und Photos – Papier aller Art. „Ich war ein Vagabund, ein Stadtstreicher, ein Lumpensammler...“, zuerst aus monetären Gründen, finden sich doch anfangs viele Fundstücke zum Verkauf in Antiquariaten und auf dem Flohmarkt, dann mehr und mehr als „geistige Nahrung“. Denn: zum Schreiben muss man Lesen. Bereits zu diesem Zeitpunkt sind die oben gestellten Fragen für mich irrelevant.

Eine andere drängt sich in den Vordergrund: Aus welchem Grund beschreibt der Klappentext, der Autor führe „ein Doppelleben“? Weil er auf der einen Seite bis zur Hüfte im Altpapier hängt und auf der anderen erste schriftstellerische Erfolge feiert und Preise entgegen nimmt? Das muss ich doch nicht verstehen, oder? Natürlich beschreibt Geiger diesen vermeintlichen Gegensatz, abends Parkett, am nächsten Morgen Parka, aber bis zum einem „Doppelleben“ ?

Gemeinsam arbeiten wir uns mit dem Autor auf gut 200 Seiten unaufgeregt durch eine aufregende Karriere, ein nie komplikationsloses Leben. Mit großem Vergnügen nimmt die Laiin, der Laie die Bösartigkeiten im Verlagsgeschäft zur Kenntnis. Mit innerer Anspannung verfolgen wir das amouröse Auf und Ab über die Jahrzehnte. Und an solchen Textstellen, an denen Rutschgefahr durch Kitsch oder Kitschgefahr durch Rutschen entstehen könnte, ist die trockene, extrem präzise und distanzierte Sprache die Schneekette, die genau das verhindert. Außerdem hat Geiger zumindest im Rückblick auf die Jahrzehnte die Größe, seine eigenen Defizite, seine Labilitäten ungeschönt mit in die Rotation zu werfen.

Für die von uns, denen manchmal der Stift in der Hand juckt, und die ewig überlegen, was sie der Welt eigentlich mitzuteilen haben, bewahrheitet sich hier das Credo aus Doris Dörries‘ Buch: „Leben Schreiben Atmen“: Sieh‘ Dich um und schreib‘. Hör‘ nicht auf. Denke nicht. Beobachte. Schreib‘ weiter. So argumentiert Geiger gegen diejenigen, die ihm das Buch über seinen in die Demenz verschwindenden Vater „Der alte König in seinem Exil“ wegen Persönlichkeitsdiebstahls zum Vorwurf machen. „ … denn ich bin nicht Schriftsteller, weil ich krampfhaft nach einem Beruf gesucht habe, sondern weil das genaue Hinsehen und Nachdenken und Schreiben meinem Wesen entsprechen. Sohn und Schriftsteller sind nicht zwei Personen, … .

Was für ein Glück.