19 Minuten. Das reicht.

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r.e.r. Avatar

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Jodi Picoult ist derzeit eine der erfolgreichsten amerikanischen Autorinnen auf dem deutschen Buchmarkt. Frei nach dem Motto: “Man muss das Eisen schmieden so lange es heißt ist” wirft ihr Hausverlag Piper auch alle sechs Monate einen neuen Roman auf den Markt. Dies ist möglich, weil diese Veröffentlichungen aus der Konserve kommen. “Zeit der Gespenster” im März 2010 hierzulande erhältlich, erschien in den USA unter dem Titel “Second Glance” bereits 2003. “Das Herz meiner Tochter” das soeben veröffentlicht wurde, stammt im Original aus dem Jahr 2008. Und hier offenbart sich auch die Krux. Serienkost in wohldosierten Abständen genossen, kann sehr schmackhaft sein. Bei ständiger Wiederholung schlägt sie einem auf den Magen.

 

Shay Bourne soll den Polizisten Kurt Nealon und dessen siebenjährige Tochter Elisabeth erschossen haben. Als erster Todeskandidat im Bundesstaat New Hampshire seit rund 70 Jahren ist er somit eine logistische Herausforderung für die Behörden. Elf Jahre nach dem Mord soll das Urteil nun vollstreckt werden. Bourne hat nur einen letzten Wunsch. Er möchte sein Herz als Organ spenden. Nicht irgendwem, sondern Claire Nealon, der schwer Herzkranken zweiten Tochter seines damaligen Opfers. Um dies zu ermöglichen, müsste jedoch die Art der Hinrichtung geändert werden. Die Todesspritze, die den Herztod verursacht, würde die Organspende unmöglich machen. Nur beim Tod durch Erhängen könnte man nach dem Hirntod das funktionstüchtige Herz entnehmen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Denn Claires Zustand verschlechtert sich rapide und der Hinrichtungstermin steht bereits fest.

 

Zunächst geht das erprobte Konzept auf. Aus der Ich-Perspektive lässt die Autorin vier Personen erzählen. June (die Mutter), Michael (einer der Geschworenen die Bourne zum Tode verurteilt haben, jetzt katholischer Priester und Bournes Seelsorger), Lucius (schwuler und aidskranker Mitgefangener) und Maggie (übergewichtige Pro Bono Anwältin). Kurze Abschnitte, spritzige Dialoge mit guten Pointen, gut recherchierter Hintergrund und punktgenaue Spannungspunkte lassen einen ohne große Anstrengung durch die Seiten gleiten. Außerdem verbindet der spannende Plot zwei hochbrisante Themen. Todesstrafe und Organspende. Daher erschließt sich mir nicht, warum der zum Tode verurteilte auch noch zum Messias des Christentums mutieren muss? Da sind ein paar Zutaten zuviel im Cocktail.

 

Generell wirkt die Hauptfigur Shay Bourne unglaubwürdig. Auf der einen Seite schüchtern, gehemmt, stotternd, kaum eines intelligenten Satzes fähig. Auf der anderen Seite eloquent, selbstbewusst, philosophisch bewandert. Wo soll dieses intellektuelle Wissen plötzlich herkommen? Ebenso wie die heilsamen Wunderkräfte? Picoult bringt, absolut unnötig, die Religion ins Spiel. Der verurteilte 33jährige Zimmermann Shay als neuer Jesus! Das erinnert an billige Effekthascherei.

 

Der Roman ist unbestritten sehr gut recherchiert. Von den Szenen im Gericht, bis zu den Gefängniszellen, ihren Insassen und der Vorbereitung der Hinrichtung. Alles wird detailliert und glaubwürdig beschrieben. Besser wäre es aber wenn die Autorin mit gleicher Hingabe an der Entwicklung ihrer Figuren arbeiten würde. Sie präsentiert die immer gleichen, eintönigen Stereotypen. Die leidgeprüfte, tapfere Mutter die sich um ihr krankes Kind kümmert. Der oder die Anwältin in unglücklicher Lebenssituation. Zu Beginn einsam, am Ende glücklich mit dem einen oder anderen Beteiligten der Geschichte.

 

Man kann auch diesen Roman in Rekordzeit herunterlesen. Aber letzten Endes ist man enttäuscht und gelangweilt. Das vorhersehbare Ende zeichnet sich von Beginn an ab. Hinausgezögert durch ein paar religiöse Wundertaten und viel sinnloses Geplänkel, das von der an sich spannenden Grunddiskussion über den Sinn der Todesstrafe ablenkt. Es reicht wenn man von Jodi Picoult ein Buch kennt bzw. gelesen hat. 19 Minuten. Mehr braucht man nicht.