Die Gier nach Macht

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philipp.elph Avatar

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DAS KARTELL, der „neue Don Winslow“, ist unter großem Trommelwirbel erschienen. „Vom Autor des Bestsellers TAGE DER TOTEN“ ist die Schlagzeile, entsprechend hoch sind die Erwartungen, nach der mäßigen Söldnerstory „Vergeltung“ sowie einem wenig aufregenden „Missing New York“.

DAS KARTELL, beschreibt die – durch die Gier nach Drogen in den USA – Machtkämpfe innerhalb der mexikanischen Drogenkartelle um Marktanteile und Versorgungswege unter wesentlicher Beteiligung von Polizei, Geheimdiensten und hochrangiger Politiker. Das Problem verursachen die Verbraucher, aber es betrifft die gesamte Supply Chain mit ihren Managern – das sind die Bosse der Kartelle – , den Angestellten in Logistik und Funktionen zur Gewährleistung reibungsloser Abläufe (vulgo: die ständig wachsenden Privatarmeen der Bosse) inklusive dem Generating Demand in den USA.

„Das sogenannte mexikanische Drogenproblem ist nicht das mexikanische Drogenproblem, es ist das amerikanische Drogenproblem“.

Wer denkt, das Problem ließe sich lösen, unterliegt einer falschen Hoffnung. Und wie trügerisch diese Hoffnungen sind, beschreibt Don Winslow in Das Kartell eindrucksvoll.

Der alte Haudegen Art Keller, der schon in Tage der Toten den Kampf im War of Drugs von der amerikanischen Seite aus führte, wird reaktiviert, um seinen Erzfeind Adán Barrera, einst Drogenboss – immer noch Drogenboss – wieder kalt zu stellen. Barrera ist aus dem Gefängnis, das ihn für sein restliches Leben neutralisieren sollte, entwichen und mischt nun die Szene mexikanischer Drogenkartelle wieder auf. Versucht, verlorengegangenes Terrain wieder zurück zu gewinnen.

Das geschieht in einem Netzwerk mit Verbündeten und Feinden, nur weiß kein Außenstehender, wie gerade die Beziehungen innerhalb dieses Netzes sind und wer auf der Seite der Polizei, der Dienste und der Regierung nicht Teil des Netzwerkes oder zumindest dessen Werkzeug ist.

Die Brutalität im Kampf um Terrain und somit Marktanteile und Gewinne steigert sich dabei von Ereignis zu Ereignis, von Massaker zu Massaker. Mal erwischt es ein paar korrupte Polizisten, mal Teile der Privatarmeen, mit der sich die Bosse umgeben. Ab und zu kommt auch jemand aus der Familie der Bosse um.

Jedenfalls hat Keller größtenteils den richtigen Riecher, wer mit wem oder gegen wen kooperiert wird. Nur bei all denen, die auf der Seite des Rechts stehen sollten, hat er (oftmals berechtigte) Zweifel.

So führt Don Winslow von Gemetzel zu Gemetzel, von einer konspirativen Sitzung zur nächsten. Ab und zu gibt er auch mal den Mitgliedern der Kartelle Gelegenheit zu menscheln – eine Hochzeit hier, Weihnachten da, dann mal wieder Zeichen wahrer Liebe. Letztlich dann doch wieder das nächste große Abschlachten.

Es ist immer wieder das gleiche: Nie endende Machtkämpfe auf der einen Seite, der Kampf Kellers gegen Windmühlen. Mag sein das das, was Winslow hier fiktiv schildert der Realität entspricht. Aber dieses Szenario auf über 800 Seiten in immer wieder gleicher Weise und mit denselben Hauptakteuren dargestellt, lediglich durch Varianten verändert, ermüdet. Zwar ist es ein eindrucksvolles Bild der Verhältnisse jenseits des Rio Grande, also auf seiten des Rio Bravos, aber weniger Umfang hätte in diesem Fall Winslow gut getan.