Potential nicht ausgeschöpft

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anne_kaffeekanne Avatar

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"Niemand kennt die wahre Vergangenheit eines Anderen. Und wenn er nicht gerade vor uns steht, können wir noch nicht einmal sagen, wo er in diesem Moment ist und was er tut. Aber selbst wenn er jetzt hier vor uns stünde, wäre es eine Anmaßung zu glauben, wir wüssten, was er wirklich denkt und vorhat." (S. 269)

Der Anwalt Kido beschäftigt sich mit einem merkwürdigen Fall. Seine Klientin Rie fand nach dem Tod ihres Mannes heraus, dass er seiner angeblichen Familie unbekannt war. Der ihr als Daisuke bekannte Mann hatte offensichtlich eine fremde Identität angenommen. Kido versucht nun den wahren Daisuke zu finden und die Motive für einen Identitätstausch herauszufinden. Dabei beginnt er auch selbst über sein Leben nachzudenken.

Das Thema ist faszinierend. Man kann sich in unserer vernetzen und kontollierten Welt kaum vorstellen, wie ein Identitätstausch über längere Zeit gelingen kann. Und auch die Fragen darüber, was Identität eigentlich bedeutet, ob man seine Vergangenheit hinter sich lassen kann und ob es möglich und sogar wünschenswert wäre in ein anderes Leben zu schlüpfen, sind spannend.
Ich habe das Buch an sich auch gern gelesen. Der Autor verstickt sich jedoch so lange in sich im Kreis drehende philosophische Gedanken, dass er dabei die Handlung vernachlässigt.

Es geht sehr viel um Kido, der seine Frau und seinen Sohn liebt, aber sich ab und an einen Ausbruch aus dem Alltag wünscht und sich von jungen hübschen Frauen angezogen fühlt. Seine Frau ist merkwürdig kühl und scheint grundsätzlich alles blöd zu finden, was Kido wichtig ist. Die entstehenden Streitgespräche fand ich gestelzt und wenig nachvollziehbar. Kidos Gedanken drehen sich im Kreis und wiederholen sich oft. Das ist wirklich schade, denn interessanter fand ich die Sichtweise von Rie, die damit klarkommen muss, dass ihr Mann sie jahrelang belogen hat und auch des Sohnes, der nun an seinem (Stief)vater zweifelt, den er eigentlich sehr liebt.

Gefallen hat mir wiederum das Eingehen auf den Umgang mit koreanischen Einwanderen. Kidos Großvater ist nämlich Koreaner und obwohl er völlig assimitiert lebt, leidet er an Selbstzweifeln und betrachtet fremdenfeinliche Ressentiments gerade in Hinblick auf seinen Sohn mit Sorge.

Insgesamt ein Buch, das ich gerne gelesen habe. Jedoch wurde das Potential der Geschichte leider nicht ausgeschöpft.