Wenn Wörter malen könnten

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nicky_g Avatar

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„Mein ganzes Leben werde ich schon der Tagträumerei bezichtigt, dabei ist es nur Kurzsichtigkeit.“ (S. 191)

New York, 1957: Marty de Groot besitzt das Gemälde „Am Saum eines Waldes“ des relativ unbekannten niederländischen Malerin Sara de Vos aus dem siebzehnten Jahrhundert. Während einer Cocktailparty wird das Bild durch eine täuschend echte Kopie ersetzt, die Ellie Shipley in ihrer trostlosen Brooklyner Wohnung gemalt hat.

Sydney, 2000: Ellie arbeitet für ein Museum in Sydney und bereitet eine Ausstellung über die Malerinnen des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden vor, zu der auch eben jenes Gemälde von einem Leidener Museum zur Verfügung gestellt wird. Als sich allerdings auch Marty mit seinem Bild ankündigt, scheint die Katastrophe perfekt.

Der Roman spielt nicht nur auf diesen beiden Zeitebenen, sondern fügt noch die Entstehungsgeschichte des Gemäldes „Am Saum eines Waldes“ hinzu, so dass man als Leser Sara de Vos 1636 ein Stück auf ihrem Lebensweg begleitet.

Trotz der Sprünge in den verschiedenen Zeiten bleibt die Erzählung übersichtlich und klar abgegrenzt, dennoch verschmelzen die Situationen um Fälschung und Original und wie beide entstanden sind miteinander, was nicht nur außerordentlich bildhaft dargestellt wird, sondern auch überaus kenntnisreich in Szene gesetzt wird, wie z. B. die Erklärungen der Öl- und Farbmischungen. Dies wird vor allem deutlich in Ellies Fauxpas mit dem Gelbton.

Durch die Gedanken der Figuren sieht man sie förmlich vor sich agieren, und jegliche Distanz wird abgelegt. Man fühlt sich ihnen ganz nah; sie werden eigen und griffig, eingebettet in natürliche Situationen, die mit einer wunderbaren Sprache und ausgewählten Wörtern beschrieben werden, z. B. der „kreidige Pfarrhausgeruch“ (S.18), der dem Haus von Martys Vorgesetzten anhaftet.

Die gestalterischen Formulierungen wie „Es ist, als nähme er Andenken von einem fremden Kaminsims, eins nach dem anderen, und ließe sie in seinen Taschen verschwinden.“ (S. 229) geben den Personen Lebendigkeit und Tiefe.
Als würde man ein Gemälde betrachten, bei dem man immer wieder etwas Neues entdeckt, so blättert sich die Geschichte um dieses spezielle Bild vor einem auf und nimmt einen völlig gefangen. Die Sätze sind die Pinselstriche, die Wörter Farbtupfer.