Wie mit einem feinen Pinsel gemalt

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Der Buchumschlag des Romans "Das letzte Bild der Sara de Vos" von Dominic Smith lockt nicht nur mit dem optischen Eindruck, als würde man ein Stück leinwandartigen Stoff beiseite schieben, um zu dem Bild zu gelangen, sondern auch mit dem taktilen Gefühl, wenn man mit der Hand über den Einband streicht.
Das macht neugierig und ist geschickt gewählt, denn sogleich wird das Gemälde ins Zentrum gerückt. Man fühlt sich für einem Moment ins Museum versetzt, wenn zu Beginn des Romans die Kurzbeschreibung und die Daten eines holländischen Gemäldes wie auf einem Schildchen zu lesen ist: "Am Saum des Waldes" von Sara de Vos.
Anders als im Museum hat man das Bild nicht konkret an der Wand hängen, doch dank der so exakten und ausdrucksstarken Beschreibung erscheint es förmlich vor Augen. Gleich fragt sich der Leser: was hat es mit dem Mädchen am Waldsaum auf sich?
Das Gemälde wird Sara de Vos zugeschrieben, des ersten weiblichen Mitglieds der berühmten Haarlemer Lukas-Gilde, welche alle Aspekte des künstlerischen Lebens im Holland der damaligen Zeit bestimmte. Auch Rembrandt, Hals und Vermeer gehörten der Gilde an. Als reales Vorbild der fiktiven Sara de Vos diente dem Autor die Malerin Sarah von Baalbergen, von der aber kein Werk mehr nachweisbar ist.

Es ist das sogenannte "Goldene Zeitalter" der Niederlande, eine rund hundert Jahre währende einzigartige wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit im 17. Jahrhundert, in dem mehrere Millionen von Gemälden im Land entstanden. Eine schier beispiellose Epoche der europäischen Kunstgeschichte. So verankert lassen wir uns ein in die Geschichte des Gemäldes und seiner Malerin, die sich im Folgenden verbindet mit dem Leben seines reichen amerikanischen Besitzers im 20. Jahrhundert und einer fatalen Entscheidung einer jungen Studentin der Kunstgeschichte.

In seinem dreistöckigen Penthouse mit Blick auf den Central Park lebt der Patentanwalt Marty de Groot mit holländischen Wurzeln inmitten seines über Jahrhunderte ererbten Wohlstands und über Generationen gesammelter Kunstwerke, allen voran die Sammlung holländischer Gemälde aus dem 17. Jahrhundert. Es fühlt sich steif und stickig an, in dieser wohlhabenden Residenz des ungewollt kinderlosen Ehepaars de Groot.
Über ihrem Ehebett hängt besagtes letztes Bild der Sara de Vos, bedacht von Martys abergläubischer Schuldzuschreibung sämtlicher negativer Ereignisse. So wurde kein De Groot älter als 60 Jahre seit das Werk vor 300 Jahren in Familienbesitz gelangte.

Doch im Herbst 1957 wird das Gemälde von Unbekannten heimlich entwendet und durch eine so akribisch genaue Fälschung ersetzt, dass es De Groot erst ein halbes Jahr später entdeckt und daraufhin einen Privatdetektiv engagiert. Dieser führt ihn auf die Spur einer jungen Kunststudentin.

Die Australierin Ellie Shipley machte am Courtauld Institute in London eine Ausbildung zur Kunstrestauratorin, nahm dann aber das Studium der Kunstgeschichte auf. Die Tatsache, dass nicht die Begabung, sondern das Geschlecht ausschlaggebend für die Zuteilung von Aufträgen war, hat sie desillusioniert. Anstatt jetzt endlich ihre Doktorarbeit abzuschließen, hockt sie in ihrem desolaten Brooklyner Zimmerchen, lebt und malt wie Maler des "Goldenen Zeitalters" und scheut auch nicht davor zurück, dafür Kaninchenfell u.ä. für kleinere Restaurierungsaufträge auf ihrem Herd zu kochen.
Als ihr ein Kunsthändler ein Foto des Gemäldes der Sara de Vos mit der Bitte um eine Kopie zeigt, ist es nicht das finanzielle Angebot, was sie lockt, sondern die Faszination des Werkes.
Das Kopieren wird zu einer neuen Form von künstlerischer Annäherung, voller Hingabe, in der sie mit der historischen Malerin fast verschmilzt.
Dass sie nun Anteil an einer kriminellen Kunstfälschung hat, schiebt sie eher zur Seite.

Dass Sara de Vos' Gemälde so eine Faszination ausübt, mag an seiner Entstehungsgeschichte liegen. Denn Sara, eigentlich für Stillleben ausgebildet, malt dieses Landschaftsbild aus Kummer und Verzweiflung nach dem Tod ihres kleinen Kindes, der den Niedergang der Familie einleitet. Ihre Person bleibt in meinen Augen leider blasser und weniger vielschichtig. Auch ihre Position im damaligen Kunstschaffen ist mir zu grob angedeutet. Da hatte ich mir mehr erhofft.

Drei Zeitebenen werden kunstvoll im Roman verwoben:
- Niederlande um 1637, die bewegenden und tragischen Jahre im Leben der Sara de Vos, die sich in ihrem künstlerischen Schaffen niederschlagen
- New York 1957/58, der Zeit von Fälschung und Raub
- Sydney 2000, das Jahr, in dem alle Fäden wieder zusammengeführt werden.

Auf spannende Art kreuzen sich die Wege von Fälschung und Original, von Marty und Ellie mehrmals. Die Geschichte des Gemäldes überwindet Jahrhunderte und drei Kontinente und verknüpft das Leben der Protagonisten auf unterschiedlichste Art miteinander.

Der Autor Dominic Smith, in Australien geboren und in Texas lebend, legt seinen Roman wie ein Gemälde an, legt Schicht auf Schicht, beschreibt präzise, wie mit einem feinen Pinsel. Seine Darstellung von der Entstehung eines Gemäldes und seines Geheimnisses sind sehr beeindruckend: von der Herstellung der Farbe und der Leinwand, dem künstlerischen Entwurf, der Rolle des Lichts, des Farbauftrags bis hin zum Handel mit Kunst und zum Fälschen.
Nie wird einem dabei langweilig bei der originellen und lebhaften Darstellung, die so eng mit der Handlung verwoben ist.

Es sind die kleinen Entscheidungen im Leben der Protagonisten, die für dessen weiteren Verlauf von Bedeutung sein werden und sei es nur, wie das Gelb auf der Palette angemischt wird.

Original und Fälschungen, Wahrheit und Unaufrichtigkeit, Täuschung und Enttäuschung sind große Themen des Romans. Am Ende heißt es für alle Protagonisten, sich den Fälschungen, Lügen und Versäumnissen seines Lebens zu stellen, daran - notfalls im letzten Moment - zu arbeiten, Wendungen einzuleiten, Schicksalsknoten aufzulösen - und sich für Unerwartetes zu öffnen.

Dominic Smith, der in Australien geboren wurde, nun in Texas lebt, hat mich mit seinem vierten Roman rasch in seinen Bann gezogen. Zwar habe ich mir über die Figur der Sara de Vos noch mehr Einblicke in das Leben einer Malerin im holländischen „Goldenen Zeitalter“ erhofft, bin aber sehr zufrieden mit der spannenden, vielschichtigen Handlung.
Sehr empfehlenswert!
Dominic Smith: Das letzte Bild der Sara de Vos. Ullstein Verlag 2017