Zwiespältig

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bücherfreund54 Avatar

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In den verschiedenen Leseforen wird der Roman „Das Licht im Rücken“ von Sandra Lüpke überwiegend positiv besprochen, es gibt aber auch kritische Stimmen. Gemeinsam ist fast allen diesen Rezensionen, dass sie sich kaum mit dem Inhalt auseinandersetzen. Da wird gelobt, dass man etwas über die Zeitgeschichte lernt, aber was man lernt, wird nicht genannt. An Kritikpunkten werden oft die Vielzahl der Figuren und die Zeitsprünge genannt, die das Lesen erschwert haben.
In meinen Augen hat sich Sandra Lüpke ein spannendes Projekt vorgenommen: Die Geschichte der Unternehmerfamilie Leitz im Zusammenhang mit der bahnbrechenden Erfindung der Kleinbildkamera. Verbunden mit der realen Geschichte der Unternehmerfamilie ist die der fiktiven Familie Gabriel, einer jüdischen Familie, die geschäftlich und privat mit der Unternehmerfamilie verbunden ist.
Die Umsetzung dieses Projekts stellt mich aber nicht zufrieden. Entschieden zu wenig stellt die Erzählerin die Widersprüchlichkeit, mit der die Figuren zu tun haben, heraus. Da ist der Demokrat Leitz der zweite, politisch engagiert, Nazi-Gegner, der aber trotzdem 1942 in die NSDAP eintritt. Er beschäftigt 500 Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine, behandelt sie zwar besser als andere Unternehmen, Zwangsarbeiterinnen bleiben sie trotzdem. Da wird die Produktion der Leica eingestellt, um wichtiges Kriegsgerät zu produzieren. Und Leitz bleibt Chef des Unternehmens, bleibt ein Rad im Machtgefüge der Nazis.
Da ist Milan, eine der fiktiven Figuren. Um seinen großen Traum in Erfüllung gehen zu lassen - er will offizieller Fotograf bei den olympischen Spielen in Berlin sein - wendet er sich von seinem leiblichen Vater, der Jude ist, ab und lässt sich von seinem Stiefvater adoptieren und wird damit zum Arier. Er ist schwul, bekennt sich aber nicht dazu und verletzt Frauen, indem er sie heiraten möchte, ohne es eigentlich zu wollen.
Das alles, und das ist das Entscheidende, lässt die Erzählerin/der Erzähler unkommentiert, ja, er/sie stellt sich sogar auf die Seite der Protagonisten, gibt ihnen in ihrem Handeln, zumindest indirekt, recht, wirbt beim Leser um Sympathie für sie.
Was lernt man: Ach, es gab finstere Zeiten, aber es gab ja auch Menschen, die nicht ganz so schlecht waren….
Der einzige Nazi übrigens, der eine Rolle spielt, ist ein Unsympath durch und durch. Sein Handeln ist wesentlich von persönlichen Ressentiments gegen die Familie Leitz geprägt. Auch das ist eine Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Was ich dem Roman zugute halte: Er spricht ein interessantes Stück deutscher Unternehmensgeschichte an und bietet so Anlass, sich näher und dann mit zuverlässigeren Quellen auseinanderzusetzen (womit ich nicht gesagt habe, dass Sandra Lüpke unzuverlässig recherchiert hat).