Absolut großartig!

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noelli Avatar

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"Dieses Buch ist wie eine Heimkehr" schreibt die Vanity Fair zu dem neuen Buch "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" von Elena Ferrante. Diesem Satz kann ich zu 100 % zustimmen. Bereits vor circa 4 Jahren las ich den ersten Band der Neapolitanischen Saga mit dem Titel "Meine geniale Freundin" und wurde in ein wunderbar bildhaft geschildertes und pulsierendes Neapel mit einnehmenden Charakteren entführt, was mich absolut begeistern konnte. Doch worum geht es in dem neuen Werk der Autorin?

Auch in "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" befinden wir uns wieder in Neapel, diesmal allerdings in den Neunzigern. Giovanna kommt gerade in die Pubertät, als sie ihren Vater sagen hört: "Giovanna kommt nun ganz nach Vittoria". Giovanna ist absolut erschüttert, denn bei Vittoria handelt es sich um ihre Tante, die von Giovannas Eltern gehasst wird und seit jeher das absolut Hässliche und Boshafte verkörpert. So begibt sich Giovanna auf die Suche nach eben jener Tante, der sie laut ihrem Vater immer ähnlicher wird. Das ist der Beginn eines Strudels, dem sich Giovanna nicht mehr entziehen kann. Denn sie muss feststellen, dass in der Welt der Erwachsenen alles voller Lügen, Widersprüche, Intrigen und Ambivalenzen ist.

Elena Ferrante konnte mich mit ihrem neuen Buch wieder vollkommen begeistern. Der Schreibstil ist absolut großartig und nimmt einen direkt gefangen. Man ist sofort drin im Neapel der Neunziger und begleitet die Hauptprotagonistin Giovanna durch die Wirren der Pubertät. Ich habe mit ihr gelitten, mit ihr gelacht und sie vom ersten Moment an ins Herz geschlossen. Dabei ist sie keineswegs perfekt. Jede Figur in diesem Roman ist sehr ambivalent, niemand ist einfach nur Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse. Facettenreich schildert Ferrante jede einzelne Figur. Vittoria, Giovannas Tante, ist dabei so lebensecht geschildert, dass ich das Gefühl hatte, sie würde wirklich existieren. Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden, darüber, die verklärte Sicht eines Kindes zu durchbrechen und zu erkennen, dass Erwachsene und vor allem die eigenen Eltern nicht perfekt sind. Außerdem behandelt der Roman das Thema der Herkunft, sowie die Themen Armut und Reichtum. Giovanna wohnt hoch oben in Neapel, kommt aus einem guten Elternhaus, Mutter und Vater sind Lehrer, sie hat eine gute Erziehung genossen. Ihre Tante Vittoria dagegen wohnt sehr weit unten in Neapel, in der Zona Industriale, in einer heruntergekommenen Wohnung. Sie drückt sich sehr vulgär aus, nimmt kein Blatt vor den Mund, auch gegenüber ihrer jungen Nichte nicht. Manchmal ist ihre Art schwer zu ertragen. Sie scheint voller Hass auf Giovannas Vater zu sein, beschwört Giovanna immer wieder, sich ihre Eltern genau anzuschauen, um zu erkennen, was für Menschen sie wirklich sind. Giovanna springt dabei zwischen diesen beiden Welten, der Welt ihrer Eltern und der Welt ihrer Tante, hin und her. Sie erkennt dabei, wie komplex die Welt der Erwachsenen, und somit auch ihre Welt, ist. Diese Komplexität in Bezug auf die Beziehungen der Figuren untereinander, in Bezug auf die Gefühle und Handlungen der Figuren macht dabei den größten Teil des Romans aus. Man begleitet Giovanna dabei, wie sie versucht, ihren eigenen Blickwinkel auf die Welt zu finden. Einzig das Ende konnte mich nicht vollends überzeugen. Aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Elena Ferrante mit einem zweiten Teil. Wünschen würde ich es mir.

Alles in allem wieder eine wunderbare Reise nach Neapel, mit einnehmenden Charakteren, die man nicht so schnell vergessen wird und einem Schreibstil, den ich einfach nur bewundernswert finde.