Bravo!

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„Lügen, nichts als Lügen, die Erwachsenen verbieten sie und lügen dabei selbst, was das Zeug hält.“

In „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ entführt uns Maestra Elena Ferrante wieder nach Neapel. Dieses Mal aber Ecke Vomero, wo die besser gestellte Gesellschaft in ihren Villen und teuren Anwesen lebt.

Hauptfigur Giovanna ist 13 Jahre alt, geliebte Tochter ihrer Akademikereltern und fleißige Schülerin.
Mit Beginn der Pubertät verändert sich alles. Nicht nur das jugendliche Aufbegehren gegen die Eltern, auch körperliche Veränderungen tragen ihren Teil dazu bei, dass Giovanna sich immer mehr mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt.

So erfährt sie von Vittoria, ihrer Tante väterlicherseits, von der sie immer ferngehalten wurde. Diese arbeitet als Putzfrau auf der anderen, der armen Seite Neapels. Sie ist laut, vulgär und so ganz anders als der Rest ihrer Familie.
Ihr Stadtviertel ist geprägt von Kriminalität, Armut und geringer Bildung der Bewohner.

Vittoria, ein ganz spezieller und vor allem äußerst schwieriger Charakter, nimmt kein Blatt vor den Mund und öffnet mit ihrer unkonventionellen, unberechenbaren Art Giovannas Blick auf die Welt. Insbesondere den auf die Erwachsenen und deren Verhalten.

Giovanna beginnt ihr Umfeld mit anderen Augen zu betrachten, alles mögliche zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Nichts scheint mehr so einfach zu sein! Vater und Mutter sind nicht die tadellosen, ehrbaren Eltern wie sie immer glaubte und auch andere Erwachsene sind hinter der Fassade oft fähige Lügner und Meister der Manipulation. Wie soll man sich da zurechtfinden?!

Ein ganz wundervolles Buch über das Erwachsenwerden! Ferrante schafft durch ihre Protagonistin ein Paradebeispiel für junge Mädchen und deren Veränderung zur Frau. Sie schreibt über den Reifeprozess von Teenagern und damit einhergehende Probleme, die Erkenntnis darüber wie naiv man gewesen ist und wie schwer es ist in diesem „Spiel“ zu bestehen und seinen Weg zu finden.

Die Autorin spielt mit dem Leser wenn sie die Erwartungen in eine ganz andere Richtung lenkt und somit für echte Überraschungen sorgt.
Bezeichnend ist auch wieder ihr Markenzeichen - es wird ganz großer Wert auf die Sprache gelegt, auf Schule und Bildung. Kultiviertes Hochitalienisch vs. ordinärem Dialekt.
Ihre Sicht und Beschreibung von Freundschaft und Familie ist so realistisch und glaubwürdig - immer sehr komplex und ambivalent. Es ist nicht immer alles schwarz und weiß.

Karin Krieger, die hier wieder einmal kongenial übersetzt hat, erwähnte im Interview noch einen ganz wichtigen Punkt: Es wird viel über Sex geschrieben in diesem Roman und das ist genau das was Jugendliche umtreibt. Hier nimmt Ferrante aber nicht nur die Erfahrungen von Mädchen unter die Lupe, sondern beleuchtet ebenso gekonnt den Umgang von Jungs die zu Männern werden damit. Oft sind die Unterschiede bezeichnend welche Erwartungen an beide Geschlechter gestellt werden.
Stichwort: toxische Männlichkeit, Bild der Frau in der (italienischen) Gesellschaft.