Das Werk einer Künstlerin

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balocin Avatar

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Ich habe das Buch mit großer Neugier gelesen und mag Elena Ferrantes Schreibstil sehr gerne. Es gelingt ihr gut, die Gedanken der Protagonistin zu schildern und weiter zu entwickeln in Sphären, die man noch gar nicht ahnt. Sofort kann ich mir Neapel in seiner umtriebigen Vielfalt vorstellen, obwohl ich noch nicht da war! Es scheint, als wäre ein unumgänglich Ziel, um zu einem besseren, bzw überhaupt guten Leben zu gelangen, einzig das Verlassen der Stadt mit ihrer Perspektivlosigkeit. Ist das so?
Der Titel des Buches ist gut getroffen, alle Erwachsenen umspinnt ein lügenhaftes Dasein, egal ob aus dem besseren oder dem vulgären Viertel Neapels stammend. Andrea, der sein Schicksal bedauert, seine Tochter so wenig zu sehen, es ist doch seine Verantwortung den Kontakt zu ihr zu suchen! Die verbitterte Tante, die alle im Griff hat, wobei da immer auch ihre Gegenüber, die es geschehen lassen, ihres dazu beitragen. Nach der anfänglichen Neugier auf die verbotene Tante, das Feindbild der Eltern und ihr angebliches Ebenbild, ist das sich zu ihr hingezogen fühlen von Giovanna kaum verständlich. Einzig der Mut von Giovanna ohne Rücksicht auf Konsequenzen Dinge auszusprechen oder zu handeln, lassen Rückschlüsse auf charakterliche Gemeinsamkeiten vermuten. Aber bitte, man wünscht sich mehr Zufriedenheit für Giovanna! Möge sie ihre Intelligenz nutzen können um glücklich zu werden!
Trostlosigkeit, der Begriff ist mir während der Lektüre des Buches nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Der Gipfel dieser ist, dass sich Giovanna mit Rosario einlässt und diese wertvolle Erfahrung des ersten Mals mit dem von ihr weder geschätzten noch gemochten Mannes macht. Tatsächlich drängt alles daraufhin das gesamte vergiftete Beziehungsgeflecht in Neapel bitte bitte zu verlassen (natürlich nicht nach Mailand), damit sie die Chance hat ein besserer Mensch zu werden (wobei klar ist, dass man durch Ortswechsel kein anderer Mensch wird und seine Vergangenheit weiterhin zu einem gehört) der seine Intelligenz nutzen kann, nicht nur um sie zu bewahren, sondern um ein erfülltes glückliches Leben zu führen.
Elena Ferrante ist eine Schriftstellerin, die es versteht mich, die Leserin in den Bann zu ziehen, das hat sie mir mit der neapolitanischen Saga bewiesen. Sie geht erstklassig mit Worten um!
Jedoch wäre es ihr bei diesem Buch genauso gelungen auf der Hälfte der Seiten. Dieses ominöse Armband fand ich zunehmend zu penetrant ins Licht gesetzt. Die Verlogenheit der Erwachsenen kann man auch so verstehen. Zwischendurch habe ich eine Handlung im Buch vermisst, es spielt sich so vieles in der Gedankenwelt von Giovanna ab. Ich hätte Giovanna bessere Erfahrungen gewünscht und wer weiß, vielleicht ist die Reise mit Ida nach Venedig die Rettung? Bleibt zu hoffen..... Gegen die - ich kann es nicht anders sagen - stets umwabernde Trostlosigkeit.

Und dennoch: ich habe es gerne gelesen!