Der Verlust der Kindheit!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
rauschleserin54 Avatar

Von

Wieder hat Elena Ferrante ein wortgewaltiges Statement abgegeben. Diesmal bekommt ein junges pubertierendes Mädchen ihre Stimme. Die Autorin lässt uns atemlos bis zur letzten Seite Giovanna begleiten und uns erinnern: vielleicht mehr, vielleicht weniger.

Manchmal verstehe ich nicht was sie will und warum ihre Stimme so vulgär daherkommt und dann lese ich nochmal den Anfang des Buches und da sagt sie es selbst:


„Ich dagegen bin weggeglitten und gleite auch jetzt noch weg, in diese Zeilen hinein, die mir eine Geschichte geben wollen, während sie eigentlich nichts sind, nichts von mir, nichts, was wirklich
begonnen oder wirklich einen Abschluß gefunden hätte: nichts als ein Knäuel, von dem niemand weiß, nicht einmal, wer dies hier gerade schreibt, ob es den passenden Faden einer Erzählung enthält oder nur ein verworrener Schmerz ohne Erlösung ist.“….


Dieser Roman zeigt deutlich die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Das Aufwachen einer jungen Frau, die zuhören muss, dass ihr Vater ihrer Mutter gegenüber davon spricht, sie würde ihrer Tante Vittoria ähnlich und die Mutter widerspricht kaum. Vittoria ist in der Familie das „Allerletzte“, der Inbegriff der Häßlichkeit und selbst auf Erinnerungsphotos wurde sie vom Vater übermalt. Giovanna ist in einer gehobenen Mittelschichtfamilie aufgewachsen und wohnt in einem Privilegiertenviertel in Neapel, weit weg von dem Rest der Familie des Vaters. Bisher war die Tochter vom charismatischen Vater vergöttert worden und lebte mit ihren Freundinnen ein besonnenes und beschütztes Leben. Sie war gut in der Schule und ihre Eltern waren Lehrer und auf einmal wendet sich alles. Sie lernt nicht mehr so leicht, ihr Körper verändert sich und …..

Das Feststellen vom Verlust gewohnter Sicherheiten und der Schwächen der Eltern, bringt Giovanna völlig aus der Bahn und wer könnte das besser darstellen als Elena Ferrante, die alle Facetten einer Freundschaft, der Familie und des Frauseins bis zur absoluten Schmerzgrenze beschrieben hat in der Freundinnen-Saga.
Sie schreibt schön, bezaubernd, niederschmetternd und vulgär und der Leser kann sich danach wieder zusammensetzen, das ist Ferrante und deswegen bringt es mir soviel, von ihr zu lesen.
Schonungslos rechnet sie mit sich und uns ab und liebevoll umarmt sie uns und ihre Protagonisten.
Alles und nichts, nicht schwarz und nicht weiß, fernab von allen Klischees. Ferrante bricht eine Lanze für die Frauen und sie nimmt dennoch auch ihre Männer in Schutz. Sie schreibt über das echte Leben, über Heuchelei, Lüge, Brutalität und Liebe. Dieses Buch wirkt lange nach, wie alle ihre Bücher.