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Rezension: „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ von Elena Ferrante
(erschienen im Suhrkamp-Verlag, 1.9.2020)

Autorin: Elena Ferrante – ich habe schon einige Bücher von ihr gelesen und bin nicht enttäuscht worden. Vom ersten bis zum letzten Wort hat mich dieses Buch, obwohl ruhig im Handlungsverlauf, gefesselt. Die Schreibtechnik führt dazu, dass man immer wieder von der Handlung weg, zu sich selber kommt. Besonders für Frauen sind hier viele Aspekte des Unterschiedes Kind – Teenie – Erwachsene angedeutet und geschickt verarbeitet.
Inhalt: Giovanna, eine zuerst 13-14-Jährige erzählt die Geschichte Ihrer Pubertät und entwickelt daran ein Gedankenspiel über Körper und Geist, wie er sein sollte und wie er tatsächlich bei Menschen ist. In einer Familienkrise wird ihr von den Eltern deutlich gemacht, dass sie selbstständig werden muss und dadurch bekommt sie Kontakt zu einer Tante, die in der Familie „totgeschwiegen“ wurde, weil sie einem anderen, nicht dem intellektuellen Milieu entstammt. So lernt Giovanna dieses Milieu kennen und eine Moral, von der sie denkt, dass sie ihren Eltern fernliegt. Bis sie feststellen muss, dass ihr Vater die Mutter 15 Jahre lang betrogen hat. Genauso wie seine Schwester Vittoria, die verhasste Tante Giovannas, gerät er in ein schräges Fahrwasser, das die Tochter nicht versteht. Ein Armband kursiert in der Familie, das eigentlich gar nicht aus der Familie stammt, weil es vom Liebhaber Vittorias seiner Schwiegermutter bei deren Tod gestohlen wurde. Es ist ein „Zuneigungszeichen“, das die Runde dreht und zuletzt bei der Tochter von Vittorias schon verstorbenem Liebhaber landet….
Lauter Dinge, die die Jugendliche versucht einzuordnen und sich daran zu entwickeln und zu bessern. Religiöse Gedanken spielen dabei eine Rolle, die auch von ihr, dem Intellektuellenkind von allen Seiten beleuchtet werden. Sie kommt aber dazu, weil Sie sich verliebt in einen Theologie-Dozenten.
So schwankt Giovanna immer zwischen der Welt der körperlichen Entwicklung, probiert sich aus, und der Gedankenwelt der vielen Bücher, die sie liest, und der Menschen mit denen sie von frühester Kindheit in Kontakt gekommen ist und fragt sich ob die Körper denkender Menschen sich auch so verselbständigen können, wie die der einfachen Leute. Sex und Liebe sind 2 verschiedene Sachen stellt sie fest und will es nicht verstehen….und sie stellt fest, ja es ist so… Liebe hat viele Gesichter. Sie hat sie noch nicht gefunden, aber wenigstens zum Schluss auch erfahren, wie es nicht schön ist.
Fazit: Wenn man Neapel und die italienische Gesellschaft und das Neapel kennt, das Ferrante schildert, ist das ganz einfach: oben ist oben und unten ist unten. in der Stadt und in deren Gesellschaft. Es kommen alle gängigen Klischees vor, immer in Form von Plätzen und Stadtteilen der Stadt. Das süditalienische Temperament wird genauso beschrieben, wie die religiösen und moralischen Verstrickungen der Gesellschaft immer am Beispiel dieses einen Familien- und Freundeskreises. Sehr geschickt gemacht und für Leser, die lieber der Handlung als dem Gehalt folgen wollen, genauso wie für die anderen eine Bereicherung.

Ute Schultz-Reitz, Jahrgang 1959