Schönes Buch mit Schwächen

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missbibliophile Avatar

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3/5 Sterne

Dies ist das erste Buch, das ich von Elena Ferrante gelesen habe, dementsprechend war ich ziemlich gespannt, vor allem weil mir auch der Klappentext und die Gestaltung des Covers sehr gefielen.
Ich möchte den Inhalt nicht groß zusammenfassen, da dies anderorts bereits zu Genüge getan wurde, sondern nur auf die Sachen eingehen, die mir (nicht) gefallen haben.
Die Beschreibung von Neapel und der verschiedenen Orte/Viertel der Stadt fand ich sehr faszinierend, ich habe auch oft die genannten Plätze gegoogelt, weil ich mir dadurch die Handlungsorte besser vorstellen konnte. Allgemein scheint es mir jetzt, als ob der Roman stellenweise Neapel repräsentierte: Die Eltern Giovannas und ihre Freunde sind die "schönen" Viertel; die Tante und ihre Umwelt die dunklen Seiten der Stadt. Das Geheimnis, das die Tante umgab, ist der Vesuv, der unter der Oberfläche brodelt und jederzeit ausbrechen kann, obwohl an der Oberfläche alles scheinbar ruhig und geordnet zu sein scheint.
A propos Tante: Vittoria habe ich mir viel dramatischer und geheimnisvoller vorgestellt, sodass die Figur, nachdem sie vorgestellt wurde, mich enttäuscht hat. Sie ist sehr klischeehaft - vom Leben enttäuscht und zanksüchtig, dabei aber eigentlich tieftraurig - und man hat nicht viel von ihr und ihrem Wesen erfahren, außer, dass sie kein gutes Leben gehabt hatte und ihre Frust bei anderen ablässt.
Genauso die anderen Protagonisten: Die Eltern Giovannas, sowie Giovanna selbst und ihre Freundinnen sind unangenehme Zeitgenossen, wobei ich das Giovanna sogar verzeihen kann, da sie ein Teenager ist und mit Selbstzweifeln kämpft. Ich hätte gerne mehr über die Eltern und ihre Beziehung zueinander und vor allem mehr über die Vergangenheit des Vaters und Vittorias erfahren, da die Begründung ihres Zwistes mir ziemlich schwach vorgekommen ist.
Da hätte man meiner Meinung nach mehr herausholen können und es hätte auch mehr auf Giovanna und ihre Reaktion dazu eingegangen werden müssen.
Die Bedeutung und Rolle des Dialektes im Buch hat mich sehr interessiert, weil er, genau wie die Religion, die Bildung der Protagonisten und die Stadtteile, in denen sie wohnen, sie trennt, wobei diese Trennung keinen endgültigen Charakter hat, da die Figuren diese Grenze nicht immer beachteten. Dies hätte noch besser ausgearbeitet werden müssen, dafür wären mir weniger Passagen über religionsphilosophische Diskussionen lieber gewesen, weil ich sie langweilig fand.
Alles in allem, ein gutes Buch, das mir gefallen hat und das mir eine neue Autorin vorgestellt und in mir den Wunsch erweckt hat, nach Neapel zu reisen. Gleichzeitig hätte ich mir aber besser ausgearbeitete Charaktere und einen tieferen Einblick in ihre Gedankenwelt und Motivation gewünscht.