Schroffer Abschied von einer wohlbehüteten Kindheit

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Im Alter von 13 Jahren ist Giovanna regelrecht schockiert, als sie ein Gespräch ihrer Eltern belauscht und ihren Vater sagen hört, dass sie hässlich sei. Er verweist darauf, dass sie immer mehr seiner Schwester Vittoria ähnelt, zu der die Familie jeden Kontakt meidet. Ausgelöst durch diese Beurteilung durch ihren Vater möchte Giovanna mehr erfahren über die Familie ihres Vaters und Tante Vittoria kennenlernen. Dort erfährt sie vieles, was ihren Vater, den sie immer als loyal und zuverlässig erlebt hat, im Ansehen sinken lässt. Für Giovanna bricht ihre heile Welt, in der sie bislang wohlbehütet gelebt hat, zusammen, denn nach und nach kommen immer mehr Ungereimtheiten und Lügen ans Licht. Sie erkennt, dass ihr Vater aus tiefen sozialen Schichten stammt und in einem verkommenen Haus in Neapels Problemviertel aufgewachsen ist, womit er nun nichts mehr zu tun haben will.
Giovanna ist regelrecht fasziniert von ihrer vulgären Tante und weitere Treffen folgen. Nachdem sie gemerkt hat, dass ihre Eltern nicht ehrlich zu ihr waren, hat sie keine Hemmungen mehr, ebenfalls zu lügen, vor allem ihre Eltern sind die Opfer. Die Tochter fängt an, ihre Eltern zu hinterfragen, und auf der Suche nach weiteren Unstimmigkeiten, spioniert sie ihnen nach und stellt fest, dass ihre Mutter mit einem Freund der Familie eine Affäre hat.
Wem kann sie denn noch trauen? Wer belügt sie nicht? Wer spielt ihr nichts vor? Eine sehr belastende Erfahrung im Leben eines Teenagers. Ganz spontan muss der Leser zurückdenken an seine eigenen Begegnungen mit Unwahrheiten und Manipulationen und wann diese Erkenntnis einsetzte. Ich bekam dadurch viele Impulse zur Reflektion über mein Leben.
Diese Coming-of-Age Geschichte zeigt uns die Zerrissenheit der heranwachsenden Giovanna in den so turbulenten Phasen der Pubertät. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrem Elternhaus und dem neuen Bösen, das sie nun kennt. Die Autorin bleibt hier nicht an der Oberfläche, sondern beleuchtet bis in tiefste emotionale Schichten die Persönlichkeit Giovannas und auch anderer Charaktere im Buch. Mich hat dies sehr beeindruckt, denn so wurden die einzelnen Szenen sehr atmosphärisch und ergreifend.
Ebenso ist die menschliche Einsamkeit ein zentrales Thema. Nachdem das Mädchen ihren Eltern, die ihre Zuflucht, ihre Helfer, ihre Beschützer waren, nicht mehr traut, muss sie sich umorientieren. Aber ist ihre beste Freundin nicht auch eine Intrigantin? Das Misstrauen überwiegt. Giovanna flieht sogar in die Religion, obwohl sie an keinen Gott glaubt.
Auch die meisten anderen Charaktere sind sehr komplex und beachtenswert.
Sehr unrealistisch fand ich indes die Szene gegen Ende, als Giovanna nun endlich zur Frau werden will.
Insgesamt hat mich das Buch sehr beeindruckt, mich zum Nachdenken angeregt und bleibende Gefühle hinterlassen. Eine eindeutige Empfehlung für Leser mit Vorliebe für tiefgründige Literatur.