Anders als erwartet

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lilli333 Avatar

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Vor einem halben Jahr machte Ida auf St. Hauda’s Land Urlaub. Dabei lernte sie den verschrobenen Henry Fuwa kennen, der ihr von gläsernen Gestalten auf dem Grund des Tümpels und von Ochsenmotten erzählte. Als sich nun ihre Füße in Glas verwandeln, kommt sie zurück, um bei Henry Fuwa Hilfe zu finden. Doch leider hat sie keine Ahnung, wo auf der Insel der alte Mann lebt. Auf der Suche nach ihm begegnet sie im Wald Midas. Midas, ein junger Mann ca. Mitte 20, der nach vielen Enttäuschungen in seinem Leben sehr zurückgezogen lebt und den Kontakt zu anderen Menschen scheut, fühlt sich von der jungen Frau mit den viel zu großen Stiefeln seltsam berührt. Ganz sachte bahnt sich hier nach und nach eine zarte Liebe an, die Midas‘ Leben auf den Kopf stellt.

Wie nebenbei erfährt der Leser durch Rückblicke, wie aus Midas dieser introvertierte scheue junge Mann geworden ist. Diese Ausflüge in die Vergangenheit sind zuweilen interessanter und gehaltvoller als das Geschehen in der Gegenwart. Für mich haben sie den Lesefluss nicht gestört, sie passen einfach an die jeweilige Stelle und es ist auch gut ersichtlich, dass es sich um Rückblenden handelt.

Ida, Midas und auch Carl, ein Freund von Idas verstorbener Mutter, suchen zwar nach einem Heilmittel für Idas „Glaskrankheit“. Auf ihrem Weg lernen sie aber auch eine ganze Menge über sich selbst, was mir noch viel wichtiger scheint.

„Das Mädchen mit den gläsernen Füßen“ ist ein leises, ruhiges Buch. Es fesselt nicht durch atemberaubende Spannung, sondern durch eine wunderschöne Erzählweise. Fast poetisch beschreibt Ali Shaw sehr detailliert die Landschaften von St. Hauda‘s Land, die Menschen, die fast alle auf ihre Weise Außenseiter sind, und das Wetter. Diese Beschreibungen sind so anschaulich und eindringlich, dass man sich mitten im Geschehen wähnt. Es gelingt dem Autor hervorragend, die melancholische Stimmung auf der winterlichen Insel einzufangen und dem Leser nahezubringen.

Während des Lesens bin ich auf einige Fehler gestoßen, die z.T. wohl dem Übersetzer zu verdanken sind: Hirschkühe werden mit Rehen gleichgesetzt, der Vorgang der Glasbildung wird als Kristallisation bezeichnet (im englischen Original „petrification“=Versteinerung, was genauso falsch ist), eine Digitaluhr kann nicht auf einer bestimmten Uhrzeit stehenbleiben. Hier sollte man doch etwas genauer arbeiten, es ist einfach schade um das schöne Buch.

Trotz fantastischer Elemente wie den faszinierenden Ochsenmotten, dem weißen Tier, dessen Blick alles weiß werden lässt, oder der „Glaskrankheit“ ist dieses Buch sicherlich kein Fantasyroman. Das Hauptaugenmerk liegt auf Midas, seiner Entwicklung, seiner Einstellung zum Leben und zur Liebe.

Was mir an diesem Buch überhaupt nicht gefällt, sind Figuren, die keinen tieferen Sinn in der Handlung haben. Auch ohne sie wäre die Handlung nicht anders abgelaufen. Außerdem bleiben am Ende zu viele Fragen offen. Es hat mich nicht wirklich befriedigt.