Das Mädchen mit den gläsernen Füßen

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Lebhaft war Ida gewesen, ständig auf Tour, liebte Partys, Action und Abenteuer. Vor allem für das Tauchen hatte sie eine Leidenschaft; sie reiste  in der halben Welt herum, um an den unterschiedlichsten Orten abtauchen zu können. Doch seit einem Einsiedlerurlaub auf St. Hauda's Land – sie hatte sich kurz vorher von ihrem Freund getrennt und sehnte sich ausnahmsweise mal nicht nach Gesellschaft, sondern Ruhe – geschieht etwas seltsames mit ihr. An ihren Fußballen beginnen sich Haut und Knochen langsam in Glas zu verwandeln bis schließlich ihre kompletten Füße aus Glas bestehen. Nach Hilfe suchend, kehrt sie auf die Insel und zu ihren merkwürdig abweisenden Bewohnern zurück. Sie muss Henry Fuwa ausfindig machen, der wie alle anderen Menschen auf der Insel total in sie gekehrt ist und soziale Kontakte meidet. Bei ihrem ersten Aufenthalt sind die beiden sich zufällig begegnet und er erzählte Ida damals von Menschen aus Glas, die auf dem Grund eines Moores liegen. Deshalb hofft Ida, dass er eine Möglichkeit kennt, das Glas, das sich nämlich immer weiter ausbreitet, zu stoppen. Zunächst tritt dann aber der Fotograf Midas in ihr Leben – oder umgekehrt sie in seins, denn beide brauchen sie gerade in diesem Moment jemanden, der für sie da ist. So entsteht eine ganz besondere Beziehung zwischen den beiden, und gemeinsam versuchen sie, die Ausbreitung des Glases zu stoppen, damit ihre gemeinsame Zeit nicht so plötzlich wieder vorbei ist, wie sie begonnen hat.

Meine Meinung
Die Erzählweise des Autors hat etwas ganz eigenes, was auch das Buch zu etwas einzigartigem macht. Die Atmosphäre, die Stimmung der Geschichte wird unheimlich gut transportiert; eine kalte Schwere liegt über der ganzen Erzählweise, sodass Inhalt und Form in einer ständigen Austauschbeziehung stehen, denn natürlich ist die Kälte, die Gefühllosigkeit der gläsernen Füße Idas ein zentraler Aspekt des Buches. Dass die Story im Winter und bei starkem Schneetreiben spielt, passt in diesen Gesamtzusammenhang auch genau hinein.
Die Insel St. Hauda's Land, zu der Ida gezwungen war, zurückzukehren, weil nur hier Hoffnung auf Heilung besteht, ist ebenfalls von unterkühlten, zurückgezogenen Menschen bewohnt, die es Ida schwer machen, einen Zugang zu ihnen zu finden. Vor allem Midas ist geprägt durch diese Abgeschottetheit, er möchte am liebsten gar keine Menschen um sich haben und sich immer nur mit seiner Kamera und seiner Fotografie beschäftigen. Doch nachdem er Ida getroffen hat, wird alles anders. Sie versucht ihn mal einfühlsam und dann wieder ziemlich brutal aus seiner selbstauferlegten Lethargie zu befreien und im Gegenzug hilft er ihr bei der Such nach Henry Fuwa. Dieser ist ebenfalls ein Mensch ohne das Bedürfnis, soziale Beziehungen einzugehen. Er lebt absolut zurückgezogen in einer kleinen Hütte im Moor und züchtet dort Ochsenmotten – Kühe, die etwa daumennagelgroß sind und Flügel haben. Man sieht, die gläsernen Füße sind nicht die einzigen fantastischen Elemente, die in dieser Geschichte verarbeitet sind. Es gibt mehrere Geschöpfe, deren Existenz sagenumwoben ist und die man sich nicht erklären kann. Da wäre zum Beispiel noch das Geschöpf, das alles um sich herum in weißes Licht taucht – und das sich in der Umgebung befindliche bleibt dann auch weiß, egal ob Vogel, Baum oder Eichhörnchen.
Hier setzt dann allerdings auch meine Kritik ein. Genaugenommen hat der Autor selbst in seinem Buch dazu eine (ich nenne es jetzt einfach mal so, auch wenn es vielleicht nicht als solche gedacht war) Rechtfertigung eingebaut, indem er Henry Fuwa an einer Stelle sinngemäß sagen lässt, dass man sich im Leben nicht alles erklären kann, sondern manche Dinge akzeptieren und versuchen muss, damit so gut wie möglich umzugehen. Was hier so weise klingen mag, hat mich aber höchst unbefriedigt zurückgelassen, denn ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass zumindest das Phänomen der gläsernen Füße erklärt wird. Wieso tritt es bei manchen Menschen auf und bei anderen nicht? Und wieso gerade bei Ida? Woher kommt es überhaupt? Kurz: mir fehlte die Auflösung dieses Rätsels. Nach dem ich eine Zeit darüber nachgedacht haben, muss ich zwar sagen, dass es schon irgendwie Sinn macht, das alles nicht aufzuklären, weil so natürlich eine ganz andere Botschaft vermittelt wird (die ich jetzt nicht dazuschreibe, denn dann würde ich das Ende verraten ;) ), aber mir hat es trotzdem gefehlt. Ansonsten aber ist das Buch auf jeden Fall mal einen Blick hinein wert; allein schon, um herauszufinden, was Midas oder Henry Fuwa eigentlich zu den Menschen gemacht hat, die sie nun sind und wie Ida sie ihr Leben von Grund auf überdenken lässt.