Meister des Spannungs-Aufbaus

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adhara Avatar

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John Boyne versteht es, mit den Gefühlen der Leserinnen und Leser zu spielen. Der Einstieg in seinen jüngsten Roman zeugt von einer gehörigen Portion englischen Humors, die Situation erinnert unvermittelt an Agatha Christie. In einem versierten Wechsel von Dialog und Beobachtung lässt Boyne seinen Protagonisten Tristan Sadler Bekanntschaft mit einem kleinen englischen Ort schliessen. Dabei gelingt es dem Autor ausgezeichnet, Spannung zu erzeugen und sie über die gesamte Situation hinweg zu halten, ohne dass tatsächlich etwas Gravierendes passiert wäre. Die stotternde Andeutung des jungen Zimmervermieters und dessen Mutter muten dabei ebenso echt an, wie das ungeschickte Hantieren des Wirts hinter dem Tresen. Der nur quasi nebenbei angedeutete Termin, vor dem sich Tristan Sadler am liebsten drücken würde, bleibt als dunkles Geheimnis in der Luft hängen.

Schon in den ersten Passagen seines Buches spricht John Boyne mehrere brisante Themenbereiche an. Während die Begegnung mit der exaltierten Schriftstellerin im Zug Grund zum Schmunzeln gibt, liegt der verschämte Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe schon etwas schwerer im Magen. Besonders subtil geht der Autor schliesslich auf die Folgen des Krieges ein. Dem Leser, der darum weiss, dass in wenigen Jahren ein weiterer, noch brutalerer Krieg mit noch schlimmeren Auswirkungen folgen wird, legen sich die tragischen Momente der Erinnerung an hoffnungsvolle, nun aber tote junge Männer wie ein Schatten auf die Seele.

Kann John Boyne das Versprechen dieser ersten Seiten halten, legt er erneut ein Buch vor, das mit einer ausgereiften und tiefgreifenden Handlung zu brillieren weiss und auch sprachlich auf einem hohen Niveau angsiedelt ist.